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Ökozid – neue Kategorie eines Völkerrechtsverbrechens?

Berichte über Umweltschäden und die Auswirkungen des Klimawandels prägen die

Nachrichten unserer Zeit. Die Idee, Umwelt- und Klimaschutz im Internationalen Strafrecht zu

implementieren, führt mitten hinein in die Debatte um die Errichtung des „Ökozids“ als fünftes Völkerrechtsverbrechen im Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Carmen Sánchez Pereyra, Absolventin des Schwerpunktbereichs „Völker- und Europarecht“ und Elisabeth Tscharke, Absolventin des Schwerpunktbereichs „Strafrecht“ – beide Studentinnen an der LMU München – haben sich im Laufe ihres Studiums mit dem Völkerstrafrecht und seiner Bedeutung für den Umwelt- und Klimaschutz beschäftigt. Im Folgenden skizzieren sie die historischen Ursprünge des Ökozids, seine rechtliche Bedeutung und Zukunftschancen als Teil des Internationalen Strafrechts.


Von Carmen Sánchez Pereyra und Elisabeth Tscharke


© Lea Donner



Flutkatastrophen, Dürren, Waldbrände und Rekordtemperaturen. Die katastrophalen globalen Auswirkungen der Klimakrise prägen die Nachrichten unserer Zeit und zwingen auch das Recht zu Lösungsansätzen, um das Überleben auf der Erde für diese und künftige Generationen zu sichern.


Trotz der Allgegenwärtigkeit der bereits bestehenden und künftig drohenden Schäden, nimmt das Recht bisher eine untergeordnete Position im Ringen um die Bewältigung der Klimakrise ein. Gerade aufgrund der Globalität des Schutzguts Klima erscheint eine grundlegende Neuordnung des bestehenden internationalen Rechtssystems jedoch unerlässlich. Der aktuelle internationale Rechtsrahmen erweist sich dabei bisher als ungeeignetes Mittel zum Schutz von Umwelt und im Kampf gegen den Klimawandel. Ausgehend von der ‎Stockholmer Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen im Jahre 1972, über das Pariser Klima-‎Übereinkommen von 2015 bis hin zur im vergangenen Jahr 2021 erfolgten UN-Klimakonferenz in Glasgow fällt eine Gemeinsamkeit auf, die all diese unstreitig wichtigen internationalen Konferenzen teilen: Es fehlt ein schlagkräftiges internationales Gremium, das in der Lage ist, die notwendigen rechtlichen Veränderungen voranzutreiben und durchzusetzen.


Die Idee, Umweltverbrechen auf strafrechtlicher Ebene zu verfolgen, kristallisiert sich in Anbetracht der Verletzlichkeit unseres Ökosystems immer deutlicher in den (Straf-)Rechtswissenschaften heraus. Bisher wirkte diese Idee nicht realisierbar, da die Konstruktion eines Umwelt- und Klimastrafrechts mit erheblichen Zurechnungs- und Kausalitätsschwierigkeiten behaftet ist. Die Zurückhaltung der Staatengemeinschaft und der nach wie vor mangelnde internationale Konsens auf umweltstrafrechtlicher Ebene führen zu einem Dilemma im internationalen Strafrechtssystem: Trotz der Existenz multilateraler Verträge, wie des Washingtoner Artenschutzübereinkommens von 1973 oder des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung von 1989, die die Staaten dazu auffordern, bestimmte Umweltstraftaten national zu verfolgen, verfügen Vertragsstaaten über einen weiten Ermessensspielraum bei der ‎Umsetzung und Anwendung der Vorschriften. Gleichzeitig mangelt es nationalen Gerichten an Mitteln und Expertise, um gravierende, transnationale Umweltkatastrophen zu verfolgen.


Dieser unbefriedigende Rechtszustand auf internationaler strafrechtlicher Ebene führt in der Rechtswissenschaft schließlich zu folgender Idee: Kann ein sogenannter „Ökozid“, als neue Kategorie innerhalb der bereits bestehenden Völkerrechtsverbrechen, die Lücke im internationalen Rechtsinstrumentarium schließen?


Die Vision eines Ökozids-Straftatbestandes


Erstmalig wurde der Begriff „Ökozid“ durch den Vietnamkrieg geprägt, als es zur Verurteilung der Nutzung des Herbizids „Agent Orange“ ‎durch die USA zur Entlaubung von Wäldern in Vietnam und der daraus entstehenden ‎humanitären Katastrophe kam. Seitdem hat die Welt zahlreiche solcher Ökozide erlebt. Dazu gehören die verheerenden Auswirkungen der Ölpest im Golf vom Mexiko, die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes oder die Reaktorkatastrophe in Fukushima. Dennoch: Ein wirklicher Durchbruch des Ökozids auf rechtlicher Ebene blieb bisher aus. In den vergangenen zehn Jahren hat vor allem die durch die britische Rechtsanwältin und Visionärin Polly Higgins gegründete ‎Kampagne ‎Stop Ecocide große Aufmerksamkeit auf sich und den Ökozid gezogen. Erreichen will die Kampagne, dass der Ökozid-Straftatbestand Einzug in das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) in Den Haag hält.


Die Zuständigkeit des Gerichtshofs bezieht sich bisher auf nur vier Verbrechen, die sog. core crimes: Völkermord, ‎Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der ‎Aggression. Mit Blick auf die Schutzgüter Umwelt und Klima, die für ein sicheres gemeinschaftliches Zusammenleben auf der Erde gleichermaßen die Weltgemeinschaft als Ganzes betreffen, lässt sich also auf den ersten Blick durchaus ein vernünftiger Grund für die Gerichtszuständigkeit anführen. Die Idee, den Ökozid als fünftes Verbrechen einzugliedern, würde somit zu einer Erweiterung des bestehenden IStGH-Statuts führen.


Diese Vision der Stop Ecocide-Kampagne durchlebte in den vergangenen Jahren einen medialen, wissenschaftlichen und aktivistischen ‎Aufschwung. Im Juni 2021 erreichte die Diskussion einen Höhepunkt: Nach jahrzehntelanger akademischer Auseinandersetzung wurde der erste offizielle Entwurf einer Definition des Ökozid-Straftatbestandes fertiggestellt. Verfasst wurde er von einer Expertengruppe, bestehend aus internationalen Anwält*innen, renommierten Völkerstrafrechtler*innen und erfahrenen Umweltexpert*innen. Nach der vollendeten Entwurfsarbeit soll der Ökozid die „Begehung von rechtswidrigen oder willkürlichen Handlungen“ unter Strafe stellen, „die in dem Wissen begangen werden, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere und entweder weitverbreitete oder langandauernde Umweltschäden verursachen“.


Wie vor jedem historischem Bruch mit bestehendem Recht und dessen Modifizierung drängt sich aber auch hier folgende Frage unweigerlich auf: Welche realistischen Chancen hat der Ökozid-Straftatbestand bei der Bekämpfung der Klimakrise? Sicherlich - jedes umweltschützende Gesetz muss aus gesamtgesellschaftlicher Sicht unstreitig begrüßt werden. Nichtsdestotrotz sollte man hinsichtlich des Ökozid-Straftatbestands in keine unkritische Euphorie verfallen. Die Komplexität, völkerstrafrechtliche Verbrechen neu zu definieren und einzuführen, darf – wie sich im Folgenden zeigen wird – nicht unterschätzt werden.


Ökozid: Einprägsamer Rechtsausdruck oder riskanter Terminus?


Bereits die Begriffswahl „Ökozid“ wird in der Rechtswissenschaft bemängelt. Zusammengesetzt aus dem griechischen „oikos“ (Hausgemeinschaft) und dem lateinischen „occidere“ (töten) lehnt er sich an den Begriff des „Genozids“ an. Der Genozid wurde im Jahre 1944 vom polnisch-jüdischen Juristen und Friedensforscher Raphael Lemkin mit Blick auf die Vernichtung der Armenier und die Schoah geprägt. Die Anlehnung des Ökozids an den Genozid birgt das Potential ‎von rechtlichen Nebenwirkungen: Zum einen geht es den Tätern nicht in erster Linie um das „Töten“ der Natur. Vielmehr sind Umwelt- und Klimaschäden in Kauf genommene Nebenfolgen. Zum anderen droht der Eindruck zu entstehen, dass hierdurch die Grausamkeit des genozidalen Unrechts relativiert wird. So eindrücklich die Bedeutung der Umweltzerstörungen durch den Begriff und die damit verbundene Öffentlichkeitswirkung auch wird, so sollte dies bei der Normierung eines ‎Verbrechens nicht der entscheidende Faktor sein. Andere Bezeichnungen wie ‎‎„Verbrechen gegen die Umwelt“ sind sachlicher und entziehen Kritikern des Ökozids eine vielzitierte Argumentation.


Utopisches Vorhaben mit dogmatischen Schwächen


Aber auch ein genauerer Blick auf die vorgeschlagenen Tatbestandsmerkmale des Ökozids lässt aus juristischer Perspektive zahlreiche argumentative und dogmatische Schwächen erkennen.

Zunächst bedeutet „willkürlich“, dass es nicht ausreicht, dass ein Täter weiß, dass seine ‎‎Handlungen Umweltschäden verursachen ‎werden. ‎‎Er muss sich auch bewusst sein, dass der Schaden im Verhältnis zu dem ‎‎erwarteten sozialen und wirtschaftlichen Nutzen eindeutig übermäßig sein wird.‎‎‎ Hier ist bereits problematisch, ‎dass es fast unmöglich sein wird ‎‎zu beweisen, dass der Täter sich dieser ‎Unverhältnismäßigkeit bewusst war.‎


Diese Art von ‎Verhältnismäßigkeitsprüfung bringt eine umweltethische Diskussion über das Schutzgut Umwelt zum Vorschein. Ein sogenannter ökozentrischer Ansatz ist der Auffassung, dass die Erde um ihrer selbst willen, also unabhängig von etwaigen Auswirkungen von Umweltverbrechen auf den Menschen, zu schützen ist. Dieser Ansatz würde jedoch ein Novum mit dem bisherigen System des IStGH-Statuts darstellen: Der Gerichtshof konzentrierte sich bisher auf die Ahndung von ‎Menschenrechtsverletzungen und war somit, den Menschen in den Mittelpunkt stellend, anthropozentrisch ausgerichtet. Bei näherer Betrachtung wurde der Ökozid-Straftatbestand faktisch zu einem gewissen Maße ‎‎anthropozentrisch ausgestaltet: Durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen Umweltschäden einerseits und wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen andererseits, hängt das Eingreifen ‎der Norm letztlich von einer am ‎‎Nutzen des Menschen orientierten Abwägung ab. Vereinfacht ‎gesagt: Ein Zerstören der Umwelt ist nur dann kriminell, wenn der Mensch nicht ‎hinreichend von der Zerstörung profitiert. Somit wird zwar das System des IStGH-Statuts gewahrt, jedoch auf Kosten des Schutzes der Umwelt und zugunsten des Nutzens der Menschheit. Diese Entscheidung mag ihre Vorteile haben, steht aber im ‎‎klaren Widerspruch zu der Herangehensweise der Stop-Ecocide Kampagne, denn tatsächlich wollte die Expertengruppe‎‎ eine ökozentrische Wertvorstellung als Leitbild für die Schaffung des Ökozid-Tatbestands zu Grunde legen, um einen möglichst großen Umweltschutz zu erzielen.


Auch ist die Ausgestaltung des subjektiven Tatbestands misslich: Art. 30 IStGH-‎Statut legt den Vorsatzmaßstab für Verbrechen nach dem IStGH-Statut fest. Er statuiert, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale „vorsätzlich und wissentlich“ begangen werden müssen. Allerdings treten viele Umweltschäden als Folge ‎von ‎‎Unfällen auf. Da Art. 30 I Hs. 1 IStGH-Statut die Möglichkeit einräumt, einen niedrigeren Vorsatzmaßstab zu bestimmen als grundsätzlich gesetzlich angeordnet, hat sich die Expertenkommission für den Maßstab der ‎“Rücksichtslosigkeit“ oder des „dolus eventualis“ ‎‎entschieden. Allerdings normiert Art. 30 IStGH-Statut einen sogenannten „dolus ‎eventualis“ (dt.: Eventualvorsatz) nicht ausdrücklich. Dieser Maßstab stellt somit eine Anomalie ‎im System des IStGH-Statuts dar: Die Verfasser des IStGH-Statuts haben sich ausdrücklich ‎gegen die grundsätzliche Aufnahme solcher subjektiver Tatbestandsmerkmale entschieden. Trotz der durch den Maßstab des Eventualvorsatzes eröffneten Möglichkeit, ‎sämtliche Konstellationen von Umweltkatastrophen zu umfassen, entsteht hier ein ‎Konflikt mit den klassischen Grundprinzipien des IStGH-Statuts. Zudem wird dieser abgeschwächte subjektive Maßstab den ohnehin schwindenden politischen Rückhalt in der Staatengemeinschaft weiter diminuieren.


Der Internationale Strafgerichtshof – geeignetes Tribunal für die Verfolgung des Ökozids?


Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) verurteilte bisher Massenmörder und ‎Kriegsverbrecher, deren brutale Gräueltaten zutiefst die Menschenwürde verletzten. ‎Diese Verstöße berühren die internationale Gemeinschaft als Ganzes und begründen hierin ‎ihre internationale Relevanz. Nach dem sogenannten Komplementaritätsprinzip, verankert in Art. 17 IStGH-Statut, wird der Gerichtshof allerdings nur dann tätig, wenn Staaten „nicht fähig oder nicht willens“ sind, eine Straftat zu verfolgen.


So maßgebend die Entwurfsarbeit für die Geschichte des Ökozids ist, so lange dürfte auch der Weg sein, bis der Ökozid zum Durchbruch und damit zur rechtlichen Implementierung gelangt. Zunächst soll er in den kommenden Monaten in der Versammlung der Vertragsstaaten in Den Haag präsentiert werden. Bis das IStGH-Statut eine Änderung durchläuft, müssen jedoch zwei Drittel der 123 Vertragsstaaten zustimmen. Dabei ist nicht nur ein Konsens der Vertragsstaaten wichtig, auch gilt es zusätzlich zu bedenken, dass USA, China und Russland als größte Umweltverschmutzer die Akte nicht ratifiziert haben, sodass die praktische Wirksamkeit des Straftatbestandes weiterhin eine Schwachstelle darstellt.


Hinzu kommt, dass der IStGH gemäß Art. 25 I IStGH-Statut nur Fälle gegen natürliche Personen einleiten kann. Dies stellt insoweit ein Hindernis dar‎, als dass zumindest ein Großteil der Umweltschäden durch unternehmerische Tätigkeiten herbeigeführt werden.‎ Jedoch ist das Konzept der Strafbarkeit juristischer Personen in der Völkerrechtslehre de ‎lege lata nicht verankert. Realistischer ist somit zunächst die Umsetzung einer Strafbarkeit ‎natürlicher Personen, auch im Hinblick auf die komplizierten Fragen, die mit dem strafrechtlichen Schuldprinzip im Zusammenhang mit Unternehmensstrukturen einhergehen.

Fraglich ist auch, ob der ‎IStGH ‎‎strukturell und institutionell in der Lage wäre, Umweltverbrechen dieser Art zu verfolgen.‎ Dabei sind nicht nur wirtschaftliche Mittel entscheidend, vielmehr mangelt es häufig am nötigen Fachwissen, da Richter*innen am IStGH Völker- oder Strafrechtsexpert*innen und über geringes umweltrechtliches Wissen verfügen. Auch wären stets aufwändige Fachgutachten erforderlich, um die direkten Zusammenhänge zwischen Handlungen und Umweltzerstörungen beweisen zu können.‎

Schließlich sind die Strafen, die in Art. 77 IStGH-Statut normiert ‎sind (Freiheitsstrafen, Geldstrafen und Einziehung des Erlöses, des Eigentums und der Vermögensgegenstände), schwer mit dem Eintritt von Umweltschäden zu vereinen, denn so wird zwar dem Vergeltungscharakter, nicht aber dem Restitutionsgedanke, den das Strafrecht in sich trägt, zur Geltung verholfen. Kurz gesagt: Das IStGH-Statut bietet ‎keine Mechanismen der sogenannten „restorative justice“, die im Bereich von Umweltstraftaten eine besondere Bedeutung erlangt.


Der IStGH steht somit vor großen Herausforderungen und seine internationale Legitimität hängt bereits bei jetzigen Fällen häufig am ‎seidenen Faden. Den Gerichtshof mit einem solchen zusätzlichen Vorhaben zu überfrachten, könnte negative ‎Folgen für die ohnehin fragile internationale Anerkennung der Institution nach sich ziehen.


Völkerstrafrecht – a „living institute“


Trotz dieser vielen Kritikpunkte darf man dem Völkerstrafrecht nicht gänzlich seine Flexibilität absprechen. So können sich nicht nur ‎die Inhalte von bestehenden Verbrechen im Laufe der Zeit ändern und an die tatsächlichen Verhältnisse anpassen, sondern es können auch ‎gänzlich neue Verbrechen entstehen. Das IStGH-Statut wurde gemäß Art. 121 IStGH-Statut stets mit der Option ‎entworfen, modifiziert zu werden. Die ‎heutige Erwähnung der Bestrafung von Verbrechen an der Umwelt – wenngleich sie bisher gemäß Art. 8 II lit. b (iv) IStGH-Statut auch nur in Kriegszeiten anwendbar ist – spricht ebenfalls für eine Erweiterung des Statuts.


Wie ist hierbei nun vorzugehen? Zunächst sollten umweltbezogene Fallkonstellationen zunehmend mit den anderen bereits bestehenden vier core crimes durch den IStGH in Verbindung gebracht werden. Dabei erlaubt insbesondere das Verbrechen gegen die ‎Menschlichkeit in Art. 7 IStGH-Statut die Subsumtion von Sachverhalten, die eine Umweltzerstörung aufweisen, unter einige seiner Tatbestandsvarianten (so zum Beispiel die Ausrottung, die Vertreibung ‎oder die zwangsweise Überführung). Hiervon ausgehend ‎wurden in den letzten Jahren drei Anzeigen an die Anklagebehörde des IStGH-Statuts gestellt, die auf die Begehung von Umweltverbrechen hinweisen. Eine davon richtete sich gegen den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der aufgrund seiner ‎klimaschädigenden Umweltpolitik (Stichwort: Abholzung des Regenwaldes) Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben könnte. Damit wird deutlich, dass Präzedenzfälle erforderlich sind, um die ‎Bezüge zwischen Umwelt und Völkerstrafrecht ‎‎herauszustellen, damit die Notwendigkeit eines Ökozid-Straftatbestands als Völkerrechtsverbrechen ‎ deutlich wird.


Eine nationale und internationale Anerkennung von Straftatbeständen ist unerlässlich für die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts. In diesem Sinne könnte der Ökozid als ein transnationales Verbrechen in ‎einer internationalen Konvention ausgestaltet werden. Auch könnten andere Staaten dem vor ‎kurzem von Frankreich gewählten Weg folgen und den ‎‎ Ökozid-Tatbestand in ihre Strafgesetzbücher ‎einführen. Deutschland könnte zum Beispiel das Umweltstrafrechtregime des StGB (§§ 324 ff. StGB) dementsprechend erweitern. Vor der Einführung der geltenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Kriegsverbrechen im IStGH-Statut, waren diese Verbrechen bereits seit Jahrzehnten international anerkannt. Das deutet auf die bisherige Tendenz des Völkerstrafrechts hin, bereits völkergewohnheitsrechtlich vorhandene Verbrechen zu inkorporieren.


Das Völkerstrafrecht ist ein dynamisches, sich veränderndes System und es ist einer schrittweisen Entwicklung ‎unterworfen. Alternative rechtliche Wege auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene stellen die notwendigen Weichen für gewohnheitsrechtliche Anerkennung des Ökozids als Völkerrechtsverbrechen, was im Ergebnis in dessen Einführung im IStGH-Statut münden könnte.


Ökozid – „wind of change“?


Die breite Weltöffentlichkeit muss begreifen, dass der Klimawandel ein common concern of humankind‏ darstellt, und der Schutz von Umwelt und Klima essenziell ist.‎ Eine juristische Wende ist hierfür unerlässlich. Ein Ökozid-Straftatbestand vor dem IStGH würde dieser Entwicklung nachhelfen, jedoch wirkt ein solches Vorhaben angesichts der konzeptuellen, rechtlichen und politischen Schwierigkeiten bisher noch als utopisch. Andere Wege innerhalb und außerhalb des Völkerstrafrechts sind realistischer, erfolgversprechender und sollten zukünftig gefördert werden. Der ‎Weg bis zur Realisierung dieser Vision ist aber letztendlich – wie so häufig – eine Frage des politischen Willens. Langfristig hat der Ökozid nur unter Fortführung der hartnäckigen ‎Bestrebungen der Zivilbevölkerung und der Politik realistische Chancen, sich ‎als fünftes Verbrechen im IStGH-Statut zu etablieren.‎


Zudem wäre eine enge Zusammenarbeit zwischen nationalen Strafgerichten und dem IStGH unerlässlich. Eine solche Praxis, die bisher als Novum galt, etabliert sich mehr und mehr, wie die aktuelle Unterzeichnung eines Abkommens zwischen dem IStGH und europäischer Staaten für eine Zusammenarbeit bei der Aufdeckung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine zeigt. Eines steht zudem fest: Der IStGH wird alleine nicht in der Lage sein, allen Formen von Umweltzerstörung zu ‎begegnen. Neben einem Umdenken innerhalb unseres gesellschaftlichen Systems, bedarf es eines fähigen Rechtssystem auf allen Ebenen – national, europäisch, aber auch international – um unsere gemeinsame Lebengrundlage zu schützen.


Und so hallen die Worte von Rapahel Lemkin, der Vater der Völkermord-Konvention nach, wenn die zukünftigen Generationen von Jurist*innen sich auf den Weg machen, einen der bedeutendsten rechtlichen Umbrüche dieses Jahrhunderts einzuleiten:


"Only man has law. Law must be built, do you understand me? You must build the law."


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