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"Business as usual" - oder: Business mit dem 'IS'?

Vor dem französischen obersten Gerichtshof in Paris - dem Cour de Cassation - wurde im Juni 2018 ein französisch-schweizerisches Unternehmen namens Lafarge wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Gefährdung seiner Mitarbeiter*innen und der Terrorismusfinanzierung angeklagt. Unter anderem soll es den "Islamischen Staat" in Syrien und dem Irak mitfinanziert haben. Der Fall ist nur ein Beispiel dafür, wie transnationale Unternehmen in Konfliktzonen Krieg und Menschenrechtsverletzungen entfachen können. Wir haben für euch recherchiert, was genau passiert ist, wofür das Unternehmen angeklagt wurde und wie es bei uns in Deutschland um die gerichtliche Aufarbeitung von Terrorismusfinanzierung steht.

von Marie Müller-Elmau

Copyright ©2017 R. Stevens / CREST (CC BY-SA 4.0)

Was bisher geschah


Lafarge ist ein französisch-schweizerisches Unternehmen, welches zusammen mit seinen Tochterunternehmen zu den führenden Bauunternehmen und Zement-, Aggregats- und Betonproduzenten der Welt gehört. Im Jahr 2010 eröffnete Lafarge seine erste Fabrik im nordsyrischen Jalabiya und erhoffte sich davon große Geschäfte – bis ihnen ein Jahr später der Bürgerkrieg einen Strich durch die Rechnung machte. Auf syrische und kurdische Truppen folgte 2013 der "Islamische Staat" in die Region und rief ausgerechnet das nebenan liegende Raqqa zu seiner Hauptstadt aus. Auf einmal lag die Fabrik mitten im Kriegsgebiet des "IS". Doch anstatt sich wie viele andere Unternehmen, unter anderem auch französische, zurückzuziehen, beharrte Lafarge darauf, seine Zementfabrik weiterhin laufen zu lassen - eine absurde Vorstellung, mitten im Bürgerkrieg „business as usual“ zu betreiben. Ironischerweise verteilt Lafarge in seinem Hauptsitz in der Schweiz bei der Begrüßung von Journalist*innen Sicherheitshelme und -flyer. Es könnte schließlich gefährlich werden.

Lafarge wird also vorgeworfen, zwischen 2011 und 2014 den sogenannten Islamischen Staat und andere Terroristengruppen in Millionenhöhe bezahlt zu haben, um ihre Arbeit in Syrien fortführen zu können. Die französische Zeitschrift Le Monde berichtete im Jahr 2016, dass der syrische Ableger von Lafarge sich nur durch die Zahlungen an den "IS" über Wasser halten konnte – bis er 2014 schließlich auch aufgab. Die Zahlungen sollen indirekt durch Vermittler*innen stattgefunden haben, um direkte Kontakte zu vermeiden. Es wird angenommen, dass wohl fast 13 Millionen Euro an den "IS" und andere Milizen gezahlt wurden. Laut Ermittlern wurden diese Zahlungen als eine Art Steuer gezahlt, damit die Mitarbeiter und Güter des Unternehmens sich innerhalb der Kriegszone frei bewegen konnten. Der "Islamische Staat" soll tatsächlich für Passierscheine gesorgt haben, die man kaufen musste, um an Checkpoints vorbeizukommen. Es klingt absurd, dass ein Unternehmen unter solchen Bedingungen seine Tätigkeiten weiterführt, allerdings ist es nach allen Zeugen- und Ermittleraussagen bittere Realität. Syrischen Mitarbeiter*innen wurde angedroht, sie zu kündigen, falls sie nicht zur Arbeit erscheinen würden. Zudem wird angenommen, dass ein Teil des Geldes in den Kauf von Benzin und anderen Rohmaterialien von dubiosen Anbietern, die dem "IS" nahestehen, geflossen ist, um die Produktion weiter aufrechterhalten zu können. Nach einer Quelle verkaufte Lafarge sogar selbst Zement an den "IS". Doch dort hört es nicht auf: Lafarge zahlte auch noch Lösegeld an den "Islamischen Staat", um seine Mitarbeiter*innen von Geiselnahmen zu befreien.


Diese Tatsachen werfen große Fragezeichen auf – warum in aller Welt sollte ein Unternehmen um jeden Preis seine Tätigkeit aufrechterhalten, wenn im Umfeld alles zusammenbricht? Die Antwort wäre: Profit, natürlich! Die Zementbranche ist neben Öl- und Rüstungsunternehmen für Geschäfte in Krieg und Terror besonders anfällig – aus dem offensichtlichen Grund, dass in Kriegsgebieten hoher Bedarf für Zement besteht. Dies machen sich Unternehmen häufig zu Nutze. Doch nicht einmal Profit hat Lafarge damit gemacht, ganz im Gegenteil. In seinem Abschlussbericht hat Lafarge-Holcim selbst festgestellt, dass das damalige Werk während der Zeit erhebliche Verluste machte und kaum zum Konzernumsatz beitrug. Von „zu Nutze machen“ kann man also nicht sprechen, geschweige denn von Profit. Zu ihrer Verteidigung führen die Franzosen an, den Kurden den wichtigen Rohstoff Zement nicht vorenthalten haben zu wollen. Das kann gut sein, wirkt aber angesichts der sonstigen Bedingungen nicht weniger bizarr.

Die Anklage gegen Lafarge

Generell kommt es sehr selten vor, dass internationale Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden – deshalb ist dieser Fall so besonders. Es war der erste Fall weltweit, indem ein Unternehmen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde. Die Anklage stammt von elf ehemaligen syrischen Mitarbeitern und zwei NGOs. Konkret wird dem Unternehmen vorgeworfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützt und Terrorismusfinanzierung begangen zu haben. Außerdem sind sie dafür angeklagt, das Leben ihrer ehemaligen Mitarbeiter*innen in einem Zementwerk gefährdet zu haben. Lafarge streitet ab, als Unternehmen im Gesamten hierfür verantwortlich zu sein. Die meisten der Angeklagten würden nicht mehr für ihr Unternehmen arbeiten. Dennoch gestehen sie ein, die Tätigkeiten ihres Tochterunternehmens in Syrien zu bereuen. Am 07. November 2019 nahm eine Kammer des Cour de Cassation die Anklage gegen Lafarge wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zurück. Es bestand Bedenken dahingehend, ob es ausreicht, dass Lafarge das Geld lediglich aus finanziellen, nicht aber ideologischen Gründen an den "IS" zahlte. Das französische Recht setzt zur Komplizenschaft an Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein materielles und ein absichtliches Element voraus. Dabei wäre es ausreichend, dass das Unternehmen von seiner Förderung und von den Verbrechen des "IS" im Allgemeinen weiß, Wissen bezüglich der konkreten Verbrechen kann ihnen nicht zugemutet werden. Diesen Vorwurf der Kenntnis nahm die Kammer allerdings zurück. Trotzdem besteht Hoffnung, dass der Gerichtshof diese wieder aufnehmen könnte. Die beiden NGOs Sherpa und ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) wollen gegen die Zurückweisung Revision einlegen. Die Anklage zur Terrorismusfinanzierung gegen acht ehmalige Exekutivchefs bleibt weiterhin bestehen.

Gerichtliche Aufarbeitung von Terrorismusfinanzierung in Deutschland

In Deutschland scheitern 67 % der Prozesse zur Terrorismusfinanzierung. Grund dafür ist wie so oft, dass die Staatsanwaltschaft entscheidet, es würden nicht genügend Beweise vorliegen, um eine Anklage tatsächlich zu begründen. Allerdings wurden bereits zahlreiche Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Verfolgung terroristisch motivierter Straftaten eingerichtet. Der Lehrstuhl von Professor Saliger an der LMU hat in Kooperation mit der KPMG im Zuge der EU-Geldwäscherichtlinie, welche europaweit Risiken der Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche ermitteln, bewerten, verstehen und mindern soll, eine Studie durchgeführt. Die Studie sollte einen Überblick zur Terrorismusfinanzierung in Deutschland zwischen 2015 und 2017 verschaffen. Um hierzulande Terrorismusfinanzierung zu begehen, muss eine Tat mit einem konkreten terroristischen Ziel - also zum Beispiel dem der Destabilisierung der Grundstrukturen eines Landes - begangen werden. Außerdem muss der Vermögenswert des Finanzierenden für bestimmte Taten verwendet werden, wobei der Verwendungszweck häufig lediglich die Aufrechterhaltung der terroristischen Organisation darstellt. In der Studie ließ sich allerdings nicht feststellen, ob es dabei nun um Propaganda, Rekrutierung oder Anschlagsvorbereitung geht. Zwar mussten viele Verfahren als irrelevant eingestuft werden, da sie entweder auf purer Fiktion beruhten oder der Tatbeteiligte zur Schutzbehauptung in einem laufenden Asylverfahren vortrug. Dennoch zeichnete sich für die relevanten Verfahren ab, dass in Deutschland insbesondere der Islamismus - also eine Form des politischen Extremismus, welche auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zielt - als Terrorismusform überwiegt. 112 Verfahren waren dem Ausländerextremismus zuzuordnen, Verfahren des Linksextremismus wurden nicht erfasst und auch der Rechtsextremismus zeigte sich als Randphänomen in den Verfahren. Dementsprechend ist der Islamische Staat auch der führende Profiteur. Aber wie genau läuft so ein Fall nun in der Praxis ab? Ein Beispiel wäre das informelle Transfersystem des sogenannten Hawala-Bankings. Das Hawala-System dient dazu, Gelder weltweit anonym und ohne Beteiligung von Banken zu übertragen. Seine Funktionsweise ist einfach. Der Auftraggeber wendet sich an einen sogenannten „Hawaladar“ in seiner Nähe. Hierbei kann es sich zum Beispiel um einen kleinen Laden „um die Ecke“ handeln. Der Auftraggeber gibt dem Hawaladar den Betrag, den er transferieren möchte, sowie den von ihm gewünschten Auszahlungsort und die -zeit. Anschließend bekommt der Auftraggeber einen Code, der beispielsweise in einer Zahlenkombination bestehen kann. Schließlich wendet sich der Hawaladar an einen anderen Hawaladar am Zielort und teilt diesem den Code, den Auszahlungsort und die Auszahlungszeit mit. Der Empfänger bekommt sodann von dem Hawaladar am Zielort den Betrag – meist in Landeswährung – ausgezahlt. In der Praxis ist es natürlich schwierig, in einem solchen Fall konkrete Beweise zu ermitteln, doch wären eine Bündelung von Fachkompetenzen und ein verstärkter Fokus auf die Gefahren, die von der Terrorismusfinanzierung ausgehen, ein guter Weg, die Effizienz bei der Strafverfolgung zu erhöhen.


Doch auch wenn ein Prozess gegen Lafarge in Europa keinen Erfolg haben könnte, gibt es andere Mittel, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Der Firma werden nämlich nicht nur Verstöße gegen das französische, sondern auch gegen das internationale Recht vorgeworfen. Das bedeutet, dass sie auch in anderen Ländern wie Amerika vor Gericht gezogen werden könnten – und dort könnte die Geldbuße wesentlich höher ausfallen als in Frankreich. Allerdings gibt es bis jetzt keine Versuche, ein solches Verfahren in Angriff zu nehmen.

Die Anklage und der Prozess gelten also als historisches Momentum. Gleichzeitig sind sie eine Lektion über die Tätigkeit von Großkonzernen während Krieg und Terror. Und: beinahe ein Schulbeispiel für Doppelmoral. Wenn Frankreich gegen den Islamischen Staat Krieg führt und ein französisches Unternehmen gleichzeitig den Gegner indirekt finanziert, ist das paradox und illegitim. Doch es geht nicht nur abstrakt um die Grenzaufzeigung für Großunternehmen, sondern auch konkret um diejenigen Menschen, welche von diesen Konflikten persönlich betroffen sind. Ohne NGOs wie Sherpa oder ECCHR wäre ihnen abgesehen von rechtsstaatlichen Hindernissen in ihren Heimatländern aufgrund fehlender finanzieller Mittel und juristischer Hilfe der Zugang zum Recht verwehrt. Hoffentlich kann der Prozess in Paris einen Pfad dorthin eröffnen.


Wir danken der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und dem Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie von Herrn Professor Saliger, insbesondere seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Ass. iur. Theresa Rüsse, für die Bereitstellung von Informationen zu Verfahren zur Terrorismusfinanzierung in Deutschland.

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