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Die Rolle von Frauen im Widerstand – Ein Rückblick am Beispiel der FARC in Kolumbien

„Colombianos las armas os han dado la independencia, pero solo las leyes os darán la libertad.“ Mit diesen Worten ist der Haupteingang des Verfassungsgerichts geschmückt, das als oberstes Gericht Kolumbiens in der Hauptstadt Bogotá auf dem Plaza de Bolívar sitzt. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das sinngemäß: Die Waffen haben den Kolumbianer*innen ihre Unabhängigkeit verschafft, aber nur die Gesetze geben ihnen ihre Freiheit.


Von Helena Muz


Der Bürgerkrieg in Kolumbien war einer der längsten bewaffneten Konflikte der Welt. Involviert in den Konflikt waren neben dem staatlichen Militär, linksorientierte Guerilla-Gruppen wie die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (kurz: FARC; dt.: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und die Ejército de Liberación Nacional (kurz: ELN, dt.: Nationale Befreiungsarmee) sowie rechte Paramilitärs, die Schätzungen zufolge aus 6.000 Bewaffneten bestanden. Der bewaffnete Bürgerkrieg kostete über fünf Jahrzehnte lang insgesamt mehr als 200.000 Menschen das Leben. Tausende Bürger*innen verschwanden, wurden entführt oder vertrieben.


Eine Widerstandsbewegung wird kriminell

Die FARC, einer der in erster Linie am kolumbianischen Bürgerkrieg beteiligten Akteure, bildete sich Anfang der 1960er Jahre in Kolumbien. Sie hatte früher eine starke Bindung zur Kommunistischen Partei. Ursprünglich gründete sich die FARC mit dem Hintergrund, die bäuerliche Selbstverteidigung gegen Großgrundbesitzer durchzusetzen.

Allerdings kam die FARC in den letzteren Jahrzehnten immer weiter von ihrem eigentlichen Ziel ab. Die Streitkräfte kriminalisierten sich zunehmend, indem sie mit Drogen handelten und Menschen entführten. Mit dem Drogengeld und dem erpressten Lösegeld finanzierten sie sich ihren Lebensunterhalt und kauften Waffen, um den bewaffneten Widerstand weiterführen zu können. Die FARC wurde somit Teil des kriminellen Systems in Kolumbien.


Frauen im bewaffneten Konflikt

Doch sie unterschied sich vor allem in einem wesentlichen Punkt von anderen Akteuren im kolumbianischen Bürgerkrieg – sie hatte einen erstaunlich hohen Anteil an Frauen, die selbst zur Waffe griffen. Schätzungen gehen davon aus, dass circa 30% der Mitglieder*innen Frauen waren. Welche Rolle spielten also insbesondere Frauen in diesem blutigen Krieg? Sie waren nicht nur Opfer, sondern viele von ihnen selbst Kämpferinnen.


Das klassische Stereotyp eines bewaffneten „Kämpfers“ ist nach wie vor ein Mann. Und auch wenn man die jahrhundertlange Historik von Kriegen und Konflikten näher betrachtet, spielten Frauen oft eine untergeordnete Rolle. Meist finden sie nur im Zusammenhang der Opferrolle Erwähnung. Auch wenn sich Frauen immer häufiger unterschiedlichen Widerstandsgruppen anschließen und als politische Akteurinnen auftreten, stimmt dies oft nicht mit unserem Bild eines „Kämpfers“ überein. Deswegen wurden und werden Frauen immer noch bei der Betrachtung von politischen Konflikten übersehen.


Die Mitgliederinnen der FARC hatten unterschiedliche Gründe sich dieser Gruppierung anzuschließen. Bei einem freiwilligen Beitritt zählten insbesondere die Armut oder fehlende Arbeitsmöglichkeiten dazu. Andere schlossen sich der Widerstandsgruppe an, um an Respekt zu gewinnen, den es in der sonst vom männlichen Geschlecht dominierten Gesellschaft wenig gegenüber Frauen gab. Denn Weiblichkeit wurde meist auf Schwäche und geschlechtertypische Rollen wie der einer Hausfrau oder einer Mutter reduziert. Viele Mitgliederinnen entflohen auf diese Weise aber nicht nur den patriarchalen Strukturen, sondern auch häuslicher und sexueller Gewalt. Sich als Frau der FARC anzuschließen war oft ein Akt der Emanzipation und ein Schritt in Richtung zu mehr Gleichberechtigung. Indem sie als Frauen bewiesen, dass sie auch in der Lage waren, einen bewaffneten Konflikt zu führen. Dabei bot sich die FARC insofern an, dass sie als linke Guerillabewegung – nach eigenen Aussagen – in erster Linie nach Gleichberechtigung strebte.


Allerdings sah die Realität der Verhältnisse in der FARC auch anders aus. Insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper wurde den Frauen in der FARC abgesprochen. Viele Frauen berichteten von Zwangsverhütung und bei ungeplanten Schwangerschaften von Zwangsabtreibungen oder der Abgabe ihres Kindes direkt nach der Geburt an Verwandte, die nicht Teil der Gruppe waren.


Historisches Friedensabkommen - Ende gut, alles gut?

Erst im September 2016 konnten viele Kolumbianer*innen und auch der Rest der Welt aufatmen. Nach über fünf Jahrzenten Bürgerkrieg und vier Jahren Verhandlungen waren die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC erfolgreich. Der damalige Präsident Kolumbiens Juan Manuel Santos hat nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen Friedensverhandlungen mit der FARC geführt und ein Friedensabkommen unterzeichnet. Durch das Friedensabkommen entkriminalisierte sich nicht nur die FARC, sondern auch die Regierung musste jegliche Beziehung zur organisierten Kriminalität auflösen.


Doch auch bei den Verhandlungen über die Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung der FARC mit der kolumbianischen Regierung, dem sogenannten DDR-Prozess („disarmament, demobilisation, reintegration“), waren die Mitgliederinnen der Gruppe weniger einbezogen. Zum einen wurde den Frauen in den Friedensprozessen kein eigenes Stimmrohr verschafft, zum anderen haben die Mitgliederinnen immer noch größere Schwierigkeiten, sich in die Sozialgesellschaft zu reintegrieren. Die Frauen haben sich an eine andere, gleichgestellte Rolle gewöhnt, während sich die kolumbianische Zivilgesellschaft in der Hinsicht nicht merklich weiterentwickelt hat und immer noch an patriarchalen Strukturen festhält. Außerdem werden Ex-Guerilla-Kämpferinnen oft als eine Art „Gefahr“ für die Zivilgesellschaft und ihre Werte gesehen, weil sie eben nicht an den typischen Geschlechterrollen festhalten. Viele Kolumbianer haben Angst, dass die Ex-Kämpferinnen die sozialen Strukturen ins Ungleichgewicht bringen. Dass dies tatsächlich geschieht ist aber eher unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass die Friedensverhandlungen keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen bei ihrer Reintegration vorsehen, obwohl Frauen teilweise ganz andere Herausforderungen bewältigen müssen, als ihre Mitstreiter.


Einerseits war die FARC hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft mit ihrem verhältnismäßig großen Anteil an Frauen eine Ausnahme. Auch die Rolle, die die Frauen in der Guerilla-Gruppe einnahmen, unterschied sich wesentlich von der typischen (Haus-)Frauenrolle - ohne hiermit die Verhältnisse als Teil einer radikalen Widerstandsgruppe zu beschönigen.

Das Beispiel der FARC Mitgliederinnen macht deutlich, dass der Rolle der Frau im Widerstand mehr Beachtung zuteil werden sollte. Es ist notwendig, sie in Friedensverhandlungen mitzudenken und einzubeziehen - gerade dann, wenn sie bei politischen Konflikten eine derart große Rolle gespielt haben.



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