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Doppelpass oder Doppelmoral?

In Deutschland gilt das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Unser Autor erklärt, wie Migrant*innen hiervon betroffen sind - rechtlich und persönlich. Ein Plädoyer für mehr Zugehörigkeit

© Kelly Sikkema.

Bei dem Begriff „Staatsangehörigkeit“ denken die meisten von uns an den Personalausweis und Reisepass und nicht viel weiter. Wenn man das Ganze einen Schritt weiter führt, dann kommt man schnell darauf, dass die Staatsangehörigkeit auch mit Rechten und Pflichten einhergeht. Solche Rechte können zum einen das Wahlrecht oder das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz sein, als Pflichten kommen beispielsweise die Wehr- oder auch Steuerpflicht in Betracht.


Im Rahmen der Coronakrise durften dieses Jahr etliche Deutsche in den Genuss der konsularischen Schutzpflicht kommen, hierbei wurden etwa eine viertel Million Menschen aus dem Ausland heimgeflogen. Die Flugzeuge wurden dabei vom Auswärtigen Amt gechartert, welches dieses „Mammutprojekt“ hervorragend gemeistert hat. Die Rückholaktion soll hier lediglich als ein Beispiel dafür dienen, wie man als Staatsangehöriger eines Erste Welt-Landes profitieren, beziehungsweise besser gestellt sein kann.


In Deutschland wird die Staatsangehörigkeit durch das gleichnamige Gesetz geregelt, das StAG. Nach § 1 ist „[…] Deutscher im Sinne dieses Gesetzes […], wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt." So weit, so gut. Ich gehe davon aus, dass die meisten der Leser*innen dieses Artikels Deutsche, beziehungsweise Staatsangehörige eines anderen EU-Staates sein werden, ein Teil der Leserschaft wird vielleicht gar zwei Staatsangehörigkeiten besitzen.


Auf den ersten Blick scheint es dabei sogar sehr vorteilhaft, gleich zwei Staatsangehörigkeiten zu besitzen, da man frei aussuchen kann, in welchem der beiden Länder man leben möchte und man auch in beiden Ländern an Wahlen teilnehmen darf. Dabei gilt in Deutschland grundsätzlich das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, wobei insbesondere Staatsangehörige der anderen EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz ausgenommen sind. „Insbesondere“ bedeutet, dass die Aufzählung beispielhaft und keinesfalls abschließend ist. Nun sind wir auch am eigentlichen Kern des Artikels angelangt. Wer sich in Deutschland einbürgern lassen möchte, muss nach dem Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit mit Abgabe des Antrags auch erklären, dass er oder sie dazu bereit ist, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. Heute leben bereits zwischen 1,6 und 4,3 Millionen Menschen in Deutschland, die einen „Doppelpass“ haben. Die genaue Zahl ist derzeit nicht bekannt, da der eine Wert dem Mikrozensus und der andere dem Zensus entstammt. Was sich jedoch daraus ableiten lässt ist, dass Mehrstaatigkeit bereits zur Realität geworden ist und dass die Zahl der „Mehrstaatler*innen“ in den nächsten Jahren eher steigen als sinken wird. Auch ein Blick ins EU-Ausland bestätigt dies, demnach erlauben Frankreich, die Niederlande, Schweden, Finnland, Polen, Tschechien, Portugal, Italien und Ungarn die doppelte Staatsangehörigkeit ohne Einschränkungen. Sprich nicht nur im Verhältnis EU-Bürger zu EU-Staat, sondern jeglicher Staatsbürger zum EU-Staat. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass viele Personen mit Migrationshintergrund noch nicht deutsche Staatsangehörige sind, obwohl sie alle Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung erfüllen würden. Ein Grund dafür ist nunmal auch das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, denn viele Menschen möchten ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit nicht aufgeben.


Natürlich lässt sich nun argumentieren, dass ein Pass auch nur ein Stück Papier ist und es doch wohl keinen Unterschied machen kann, ob der Bundesadler oder der ägyptische Adler Saladins auf der Vorderseite abgedruckt ist. Dem möchte ich entgegenhalten, dass man sich schwer in die Lage eines Migranten oder einer Migrantin versetzen kann. Auf der einen Seite möchte man endlich an Wahlen teilhaben können und dazu in den Genuss der Freizügigkeit und Visafreiheit kommen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso man dafür seine bisherige Staatsangehörigkeit - beziehungsweise Nationalität - und somit doch auch einen Teil seiner Identität aufgeben muss. Diejenigen, die das Prinzip befürworten, bezweifeln die Loyalität der sogenannten „Doppelstaatler“ zur Bundesrepublik, allerdings sind aus dem oben genannten europäischen Ausland keinerlei derartige Erfahrungen bekannt geworden. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Zum einen ist es unfair, Doppelstaatler unter den Generalverdacht der Illoyalität zu stellen und meiner Meinung nach auch mit zweierlei Maß zu messen. Wie bereits mehrfach erwähnt ist Mehrstaatigkeit in Deutschland - in gewissen Grenzen - bereits zur Realität geworden. Das Paradoxe daran ist, dass Personen aus dem Nicht-EU-Ausland und aus solchen Staaten, die generell ausbürgern, vor eine entweder-oder-Entscheidung gestellt werden und, sollten diese sich zur Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit entscheiden, schnell merken werden, dass dies nicht immer einfach ist. Teilweise nehmen die Verfahren mehrere Monate in Anspruch, sind kostenaufwändig und schlichtweg kompliziert. Einige, die den Prozess durchlaufen mussten, haben sich in der eigenen Auslandsvertretung auch als „Verräter“ gefühlt. Während Personen, bei denen das Prinzip keine Anwendung findet, nach einigen Monaten ihre Einbürgerungsurkunde ausgehändigt bekommen und am Ende des Tages ein „Mehr“ an Rechten gewinnen, ohne auf andere Rechte verzichten zu müssen.


Wir sollten uns wirklich fragen, welches Signal wir an eingebürgerte Menschen senden, wenn diese mit Übergabe der Urkunde gleichzeitig ein Merkblatt über den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bekommen und im Normalfall, gerade um eingebürgert zu werden, ihre vorherige aufgeben mussten. Es wäre wünschenswert, dass wir umdenken und das Prinzip zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit nicht mehr anwenden. Dies würde vielen Personen, die wie auch ich zwischen zwei Kulturen groß geworden sind, keine schwer zu treffende Entscheidung mehr abverlangen und den Wert der uneingeschränkten Zugehörigkeit statt des „Entweder-Oder“ vermitteln.


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