Macht die Kommission mit Ungarn ernst?
Nach jahrelanger Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Ungarn zieht die Kommission nun ihre Schlüsse und droht, erstmals den Rechtsstaatsmechanismus anzuwenden. Das Land scheint mit seinen Provokationen tatsächlich den Bogen überspannt zu haben. Wird die „illiberale Demokratie“ endlich in die Knie gezwungen?
Ein Kommentar von Anna Oedekoven

Der Rechtsstaatsmechanismus ermöglicht der Europäischen Kommission, Gelder an rechtsstaatliche Grundprinzipien zu koppeln und bei Verstößen gegen diese einzufrieren. Um letzteren Fall abzuwenden, gibt die Kommission Vorschläge ab, die bei einer Umsetzung eben doch zur Ausschüttung der Gelder führen. Die Empfehlungen, die die Kommission abgibt, reizen die Frage, ob sie nicht doch die letzten Jahre geschlafen hat. Schlimmer noch: Weggeschaut hat? Die Maßnahmen sind einerseits solche, die sich leicht aushöhlen lassen, andererseits sind es welche, die in der Vergangenheit schon ausgenutzt wurden. Ungarns Präsident Viktor Orbán wird sich freuen, denn er wird an seiner Strategie nichts ändern müssen.
Seit seinem Beitritt kassiert Ungarn Milliarden Euro aus den Förderfonds, während gleichzeitig die Anzahl der Korruptionsfälle steigen. Das ist nicht nur peinlich für die EU, sondern führt auch zu einer Unglaubwürdigkeit in ihrem Wesen als Wertegemeinschaft: Ein Land auf illiberalen Höhenflug finanziert durch die EU. Selbst wenn die Kommission mit Ungarn ernst macht, eine Antikorruptionsbehörde einzuführen, Ausschreibungen öffentlich breiter aufstellt und die Öffentlichkeit in Diskussionen einbindet, sieht sich die Demokratie immer noch in Gefahr. Die Behörde hilft nämlich in erster Linie sich selbst und ihrem Image. Die Kommission scheut sich nicht zum ersten Mal vor einem harten Durchgreifen: Schon im Frühverrentungsfall im Justizwesen fehlte der Kommission der Mut, diesen als klaren Fall eines politischen Angriffs auf die Demokratie zu werten und ermöglichte so den Weg in die illiberale Demokratie.
Eine Antikorruptionsbehörde würde lediglich eine bereits existierende ersetzen. Bei öffentlichen Ausschreibungen gibt es auch jetzt schon Zählkandidaten, die den Eindruck erwecken sollen, es würde sich um eine objektive Bewertung handeln. Lernunfähig zeigt sich die Kommission, indem sie Ungarn auffordert, eine breite öffentliche Debatte zuzulassen. Dabei leidet die Kommunikation zwischen Brüssel und Budapest schon seit Jahren unter Glaubwürdigkeit. Was soll sich nun geändert haben? Die ungarischen Pressemitteilungen suggerieren eine Kompromissbereitschaft. Sie besagen, die Regierung sei zu diplomatischen Einigungen gekommen, bald würde das Geld ausgezahlt und Ungarn hätte wieder mal amtlich bestätigt, dass mit der Demokratie und dem Rechtsstaat alles in Ordnung sei. Die illiberale Demokratie wird sich so nicht aufhalten lassen. Die Kommission scheint ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge immer noch nicht ernst zu nehmen, handelt abseits der strukturrelevanten Themengebiete und schiebt die Verantwortung wieder mal ab. Bleibt die Hoffnung, dass sich der Rat der Werte der Europäischen Union bekennt und im November für die Sanktionen stimmen wird, damit auch dieses Druckmittel nicht aus der Hand gegeben wird.