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Feminismus ist für alle da

Der Soll-Zustand des Gesetzes für Gleichberechtigung ist in der Realität für alle Geschlechter noch lange nicht erreicht. Warum das speziell für Frauen so ist, Feminismus nicht gleich Matriarchat bedeutet und wir alle von ihm profitieren würden: ein Plädoyer.


von Victoria von Rheinbaben

© Charlotte Chapius

Es fällt uns noch zu leicht, Geschlechterdiskriminierung zu ignorieren, tolerieren, oder uns ihrer selbst schuldig zu machen. Die meisten behaupten, Verfechter*innen der Geschlechter- und Chancengleichheit zu sein. Doch was sich im Alltag abspielt, beweist das Gegenteil. 

Eine Erklärung dafür könnte sein, dass das der Bundestag 1957 in Anlehnung an Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz das Gleichberechtigungsgesetz für das Bürgerliche Gesetzbuch verabschiedete, um die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf Bundesebene umzusetzen. Vielen Menschen erscheint es wohl nicht mehr nötig, es in Frage zu stellen, beziehungsweise auf die Qualität seiner Umsetzung zu achten. Doch genau das müsste geschehen. Denn es passt nicht. Lange noch nicht. Gesetz und Wirklichkeit liegen noch zu weit auseinander. 


Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes besagt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und der Staat sich für die Beseitigung bestehender Nachteile einsetzt. Zuerst sei gesagt, dass hierbei diskriminierender Weise von einer binären Geschlechterordnung ausgegangen wird. Klar ist jedoch, dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt, auch wenn dieser Essay insbesondere auf die Diskriminierung der Frau ausgelegt ist. Zu allererst stellt sich die Frage, wie zu rechtfertigen ist, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland 2019 bei nur 29,5% lag? Aus Arbeitgeber*innensicht gibt es viele Gründe für diese „gläserne Decke“: Der Krankenversicherungsbeitrag für Frauen ist teurer. Sogar in Organisationen wie der GIZ hat das Ausfallrisiko durch mögliche Schwangerschaften zu Beförderungsverweigerungen geführt. Frauen wird weniger Leistung zugetraut, weshalb in den USA 2017 nur 2% des gesamten Risikokapitals in Firmen mit weiblichen Gründerinnen investiert wurde. Dies sind nur zwei der vielen Beispiele für strukturelle Diskriminierung in der Arbeitswelt.

Entscheidungen, die aufgrund von stereotypischen, männerdominierten Rollenbildern getroffen werden, und Menschen auf die Natur ihres Geschlechts reduzieren, sind der Inbegriff von Sexismus. Und Sexismus bedeutet Spaltung. 


Den meisten Menschen begegnet Sexismus in ihrem Leben. Mehrfach. Sexismus beschränkt sich nicht nur auf strukturelle Benachteiligungen in der Wirtschaft, sondern beginnt schon in Alltagssituationen: Nachpfeifen auf der Straße und erniedrigende Aussagen wie „Sei doch kein Mädchen!“ haben wohl sowohl Frauen als auch Männer schon erlebt.

Hinzukommt, dass Sexismus ein allgemein schädigender Zustand ist.  So werden zum Beispiel Männer in unserer Gesellschaft dazu erzogen, keine Schwäche zu zeigen, die geborenen Handwerker, die starken Beschützer zu sein. Auch das ist diskriminierend und eine Einschränkung für die eigene freie Entfaltung eines jeden Mannes. Feminismus kämpft jedoch auch genau dagegen an. Zwar ist der Begriff eine von den Bedürfnissen der Frau ausgehende Bewegung, jedoch strebt sie die grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen und der patriarchalischen Kultur für die Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern an. Hierbei geht es nicht darum, Männer zu unterdrücken. Es geht darum, gleiche Rechte für Männer und Frauen zu etablieren – nicht nur im Gesetz, sondern auch im täglichen Umgang. Jeder Mensch soll frei und nach seinen Bedürfnissen leben können, ohne Diskriminierung und Unterdrückung zu erfahren. Feminismus bedeutet nicht, wie fälschlicherweise oft kritisiert, ein Matriarchat aufzubauen. Es bedeutet, die durch das bestehende Patriarchat hervorgebrachten gesellschaftlichen Differenzen für alle Geschlechter zu beseitigen. 


Nachteile für ein Geschlecht dürfen nicht verstärkt, sondern ihnen muss entgegengewirkt werden. Es muss Aufklärung betrieben werden, wann Witzeleien aufhören, Sexismus anfängt und was die Naturelle der Geschlechter sind. Stereotypen existieren nicht ohne Grund. Sie sind über Jahrhunderte manifestiert und verstärkt worden. Es gibt Unterschiede zwischen Geschlechtern, die in der Natur ihrer Physiologie und Psychologie liegen. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Doch es ist entwürdigend, sich ihnen als Mittel zur Diskriminierung zu bedienen. Sie sollten stattdessen eines Erklärungsansatzes dienen, mithilfe dessen ein gerechtes Ergebnis erzielt werden kann. 


Gesetze allein sind dafür nicht genug. Sie beschreiben einen Soll-Zustand, dem jedoch der Wunsch der Gesellschaft vorangehen muss, diesen zu realisieren. Dafür sind Veränderungen in der Erziehung und Sozialisierung unabdingbar. Das ist anstrengend und bedarf Mut. Werden feministische Aktivist*innen aber als hysterisch abgestempelt und nicht ernst genommen, beweist das eine genau gegenteilige Entwicklung. Es zeigt, dass zu viele von uns noch nicht verstanden haben, wie wichtig eine reale Gleichberechtigung aller Geschlechter für die gesamte Gesellschaft ist.


Jede*r von uns muss seinen Beitrag leisten. Anpassung der Sprache, das Aufmerksam Machen auf inkorrektes Verhalten und das Reframing eigener Gedankengänge sind elementare Bestandteile einer nachhaltig egalisierenden gesellschaftlichen Entwicklung. Es ist wie in anderen politischen Debatten notwendig, ein klares Ziel zu formulieren, um den gewünschten Soll-Zustand in allen Bereichen des Lebens zu erreichen und somit wirklich nach dem Gleichberechtigungsgesetz zu leben.


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