Femizide: Ist es an der Zeit für einen eigenen Straftatbestand?
Wenn Frauen zur Zielscheibe werden: Immer wieder berichten Medien von tödlichen Auseinandersetzungen, denen Frauen zum Opfer fallen. Über die oft opferbeschuldigenden Berichterstattungen hinaus wird die zentrale Tatsache oftmals übersehen: In vielen Fällen wurden die Straftaten gerade deshalb begangen, weil es sich bei den Opfern um Frauen handelt. Ist es Zeit, einen eigenen Straftatbestand einzuführen, um dem ein Ende zu setzen?
von Aleksandra Ratajczak

© Antonia Hinterdobler
Femizid und Feminizid: Eine Begriffserklärung
Gehen wir ein Stück zurück: Was ist überhaupt ein Femizid? Die Begriffe Femizid und Feminizid werden oft als Synonyme benutzt, obwohl sie nicht das Gleiche bedeuten. Femizid ist die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Dabei ist nicht jede Tötung von Frauen gleich ein Femizid. Vielmehr muss das Töten aus der Motivation heraus erfolgen, dass Frauen Frauen sind. Dieses Motiv leitet sich wiederum aus einem patriarchalischen Konstrukt in der Gesellschaft und der Degradierung der Frau zum Objekt der Begierde und des Besitzes ab.
Das Wort Feminizid wiederum ist eine untergeordnete Form des Femizids und bezeichnet dabei das Verhalten des Staates, wenn keine Maßnahmen zu den steigenden Zahlen der Femizide im Staat unternommen werden, beziehungsweise wenn das Töten von Frauen vom Staat selbst bagatellisiert wird. Dabei wandert der Fokus bei dem Wort Feminizid auf gesellschaftliche Machtstrukturen und patriarchalische Denkmuster in der Gesellschaft. Der Staat wird mitunter in die Verantwortung an Frauenmorden gezogen, und das Wort soll einen gesellschaftskritischen Blick auf den status quo ermöglichen, um zu hinterfragen, wie Frauen und Mädchen in der Gesellschaft und vom Staat gesehen werden.
Femizide: Die Lage in Deutschland
In Deutschland ist fast jeden Tag eine Frau von einem vollendeten Mord oder einem Versuch betroffen. Die meisten Tötungsdelikte werden von Personen aus dem Umfeld der Frauen verübt: Den nahen Verwandten, Freunden, oder den (Ex-) Partnern. Das häufigste Motiv ist dabei die Trennung beziehungsweise die Trennungsabsicht der Frau. Dies geschieht so häufig, dass es bereits einen eigenen terminus technicus dafür gibt, nämlich Beziehungs- oder Trennungsfemizide. Dabei gibt es je nach Art von Tötungsdelikt verschiedene Einstufungen wie diese im deutschen Strafrecht bewertet werden. Entscheidend dabei ist die Art des Deliktes: wird es als Mord eingestuft, erhält der Täter eine höhere Strafe im Gegensatz zu den Delikten, die als Totschlag eingestuft werden. Hierzu ist die Betrachtung der rechtlichen Bewertung der Ehrenmorde interessant, d.h. Taten, die aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus innerhalb der eigenen Familie verübt werden. Diese fallen auch unter dem Oberbegriff des Femizids. Heutzutage wird diese Art von Delikt fast immer als Mord aus niedrigeren Beweggründen bestraft. Niedrige Beweggründe liegen vor, wenn die Beweggründe des Täters nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt sind und daher besonders verachtenswert sind. Früher wurden Ehrenmorde jedoch mit schuldmildernden psychischen Krankheiten verglichen und somit nicht als Mord, sondern als Totschlag eingestuft. Im Laufe der Zeit hat sich die Rechtsprechung verändert und Ehrenmorde wurden richtigerweise als Morde eingestuft und somit als Straftat einen größeren Strafrahmen bekommen.
Zwar hat sich Deutschland in der Rechtsprechung der letzten Jahre mit der Einstufung der Ehrenmorde befasst, Femizide bleiben dennoch in Deutschland als solche statistisch undokumentiert, sodass unklar bleibt, wie viele Frauen pro Jahr dem Delikt zum Opfer fallen. Aus statistischen Erhebungen weiß man lediglich, dass im Jahr 2019 140 Menschen zum Opfer vom vollendeten Mord in einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft wurden, wobei 111 davon Frauen waren. Zwar ist nicht bekannt, ob alle Tötungsdelikte als Femizide einzustufen sind, die erschreckende Anzahl der Tötungen durch einen Partner lässt jedoch vermuten, dass Trennungsfemizide die häufigste Kategorie an Frauenmorden in der Bundesrepublik darstellen. Auch diese werden, wie Ehrenmorde oftmals mithilfe des Mordmerkmals der niedrigeren Beweggründe als Mord eingestuft. Aber wann wird solch ein Motiv als besonders niedrig eingestuft? Und wann wird es abgelehnt?
Die übrigen Beweggründe als Mordmerkmal bei Femiziden: Lückenfüller oder Problempunkt?
Niedrige Beweggründe wurden meistens in Konstellationen bejaht, in denen der Mann die Frau tötet, weil er sie „zu besitzen“ glaubt. Folglich handelt es sich regelmäßig um Mord, wenn der Partner die Frau tötet, weil er Besitzrechte an ihr nicht aufgeben will, sie „keinem anderen gönnt“, die Frau für Untreue bestrafen will , beziehungsweise ihr ein eigenständiges Leben absprechen möchte. Sie werden jedoch grundsätzlich nicht bejaht, wenn „ Gefühle der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit, die eine Bewertung als ‘niedrig‘ im Sinne der Mordqualifikation namentlich dann als fraglich erscheinen lassen können, wenn – wie hier – die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will.“ Das bedeutet, dass wenn Gefühle der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit im Spiel sind, oder wenn sich die Frau von dem Partner trennt, je nach Gesamtbetrachtung nur von einem Totschlag gemäß § 212 StGB die Rede ist.
Analysieren wir nun die gewählte Wortwahl des BGH: Wörter wie „berauben“ und „ verlieren“ und die Tatsache, dass es entscheidend für den Tatbestand ist, ob sich die Frau von dem Partner trennt oder diese verlassen wird, spiegeln sehr besorgniserregende, patriarchalische Strukturen in unserer Gesellschaft wider. Die Sprache, die hier durch das Gericht gewählt wird, degradiert Frauen zu Objekten, von denen der Täter fürchtet, dass sie ihm „ beraubt“ werden können. Genau dieser vermeintliche Besitzanspruch wird jedoch wie oben dargestellt von dem BGH - reproduziert und als ein Grund genannt, um niedrigere Beweggründe als Mordmerkmal anzunehmen. Wie kann es also sein, dass der BGH diesen Gedanken des Täters kritisiert, jedoch selbst die Wortwahl verwendet?
Zudem ist unverständlich inwiefern die Gefühle der inneren Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit separat gesehen werden sollten. Diese kommen nämlich erfahrungsgemäß gepaart mit Gefühlen, bei denen niedrige Beweggründe bejaht werden, wie Wut, Enttäuschung, Verlustangst oder Verzweiflung und werden gebündelt betrachtet. Ein solches Bündel spricht sich nach dem Grundsatz in dubio pro reo oft für den Täter aus, sodass im Zweifel niedrige Beweggründe und somit Mord verneint werden.
Femizid als Strafbestand
Einige Stimmen fordern deshalb den Femizid als eigenen Tatbestand einzuführen, gleich nach dem lateinamerikanischen Vorbild. Bereits in vielen lateinamerikanischen Ländern ist der Femizid als Straftatbestand festgeschrieben. In Europa fehlt zurzeit eine vergleichbare Gesetzgebung. Wo sich viele für einen solchen Straftatbestand aussprechen, gibt es genügend Stimmen, die diesen ablehnen. Der Grund dafür ist die Gefahr, das Thema als „ abgeschlossen“ anzusehen, nachdem man einen eigenen Straftatbestand festgeschrieben habe. Dabei befürchten Kritiker*innen, dass ein neuer Straftatbestand entschuldigend wirken könnte und somit die eigentliche Auseinandersetzung in der Gesellschaft zum Thema genderspezifische Gewalt, Victim- blaming und zur Sprache hinsichtlich der Gewalt an Frauen nicht aufgreift, sondern ausklammert.
Andererseits könnte ein neuer Straftatbestand angemessene Strafen für Täter ermöglichen, die Rechtssicherheit für die Praxis erhöhen und den Erwartungen der Istanbul Konvention gerecht werden, die in Art. 43 die Anwendung des Strafrechts bei der Gewalt gegen Frauen unabhängig von der Täter- Opfer Beziehung fordert und in Art. 46 a sogar explizit darauf verweist schärfere Strafen zu fordern, falls die Gewalt von einem (Ex) Partner ausgehe. Letztendlich könnte ein solcher Tatbestand das Gegenteil von dem vorher genannten auslösen und für rechtlichen Diskurs und öffentliche Debatten hinsichtlich Femizide und Gewalt an Frauen sorgen und statistische Erhebungen einfacher ermöglichen.
Ein berechtigter Einwand gegen die Einführung eines solches Straftatbestandes ist jedoch, dass es keine rechtliche Strafbarkeitslücke gibt. Es ist vielmehr die Rechtsanwendung nicht die Rechtsgrundlage selbst, die zu einem ungenügenden Ergebnis führt. Der Fokus sollte demnach nicht darauf gelegt werden, für Femizide eine neue Gesetzesgrundlage zu entwickeln. Es muss eher in den Blick genommen werden, wie die Gesellschaft, Richter*innen und Jurist*innen diese ansehen und bewerten. Wir brauchen eine Rechtsanwendung, die sich von frauenfeindlichen Strukturen, Vorurteilen und patriarchalischen Denkweisen befreit. Das wiederum erfordert, Personen, die auf eine gesellschaftskritische Art und Weise ausgebildet wurden.
Eine interessante Lösungsmöglichkeit eröffnet sich, wenn man § 46 Abs. 2 S.2 StGB erweitert, der sich mit der Strafzumessung beschäftigt. Bislang gelten als strafschärfend „rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe. Zwar ist der Tatbestand nicht abschließend, sodass nach der Auslegung auch „frauenfeindliche“ oder „geschlechtsspezifische“ Beweggründe betrachtet werden könnten. Die explizite Aufzählung würde jedoch einen positiven Effekt auf den öffentlichen Diskurs haben. Es könnte als Anstoß dienen, sich in der Gesellschaft und in der juristischen Ausbildung mehr mit geschlechterbasierter Gewalt auseinanderzusetzen und diese nicht zu banalisieren.
Letztlich sei gesagt, dass der Straftatbestand „ Femizid“ an sich vielleicht nicht unbedingt nötig ist. Womit wir uns jedoch beschäftigen müssen ist, wie Femizide in der Gesellschaft und in der juristischen Ausbildung dargestellt und behandelt werden. Als Jurist*innen müssen wir uns kritisch damit auseinandersetzen, wie unsere Ausbildung uns für diese Bereiche sensibilisiert. Bislang ist noch einiges zu verbessern. Vor allem Fälle und Falllösungen sollten überdacht werden, in denen meistens ein Partner aus einem südeuropäischen Land seine Freundin tötet, weil sie ihn verlassen hat und er „keinen anderen Ausweg mehr kannte“. Dadurch werden wir in die problematische Rechtsprechung des BGH praktisch miteinbezogen und wiederholen diese, ohne genderbasierte Gewalt näher zu beleuchten, was zur Aufrechterhaltung geschlechterspezifischer Vorurteile führt und von diskriminierenden und gar rassistischen Vorurteilen trieft.
Dekonstruktion von patriarchalischen Strukturen in der Ausbildung und Konstruktion der Sensibilisierung auf bestimmte Themen lautet daher die Devise. Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten nach Art. 15 der Istanbul Konvention für Menschen, die letztendlich die Betroffenen vertreten oder über die Rechtslage richten, wären wünschenswert.
Schließlich wäre auch die Revidierung der Formulierung des BGH wünschenswert, die die Frau objektifiziert und sie verurteilt, weil sie sich von dem Täter vorher getrennt hat, oder es versuchte. Dekonstruktion dieser Strukturen und das Hinterfragen der Auswertung von Femiziden in der Rechtspraxis sind die Faktoren, die zu einer besseren Rechtsanwendung führen könnten. Sie stellen unser bisher Gelerntes und Angewandtes auf den Prüfstand, sind jedoch ein Indiz dafür, dass die gesellschaftlichen Werte und das bisherige Verständnis über Frauen kritisch analysiert wird. Kritisches Denken ist überall, besonders in der juristischen Rechtspraxis etwas, was bisherige Verhaltensformen dekonstruiert und zu einem neuen Ganzen zusammenführt. Wie dieses zukünftig aussehen wird, liegt an uns und unserem Willen der kritischen Selbstanalyse.