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Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind Frauenrechte!

Der Menschenrechtsrahmen ist ein rechtliches Instrument zur Bekämpfung diskriminierender Handlungen und Verletzungen der Menschenwürde. Aber funktioniert er auch, um gegen geschlechterspezifische Diskriminierungen vorzugehen und die Rechte von Frauen zu stärken? Ein Kommentar von Dorothea Seyfarth


© Nora Hüttig

Die juristische Gleichstellung von Mann und Frau


Mit dem eingangs erwähnten Zitat fordern Frauenrechtler*innen seit den 70er Jahren, dass man Frauen die volle und gleichberechtigte Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben einräumt. Sie machen sich dadurch für Menschenrechte stark, die so grundlegend für jede*n Einzelne*n von uns und unser Zusammenleben sind. Dass sie fundamental sind, macht sie aber noch lange nicht selbstverständlich.


Als 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erlassen wurde, besagte diese: „jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach (…) Geschlecht“. Damit wurde von der internationalen Gemeinschaft schwarz auf weiß festgehalten, gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit aufgrund des Geschlechts vorzugehen.

Was sich so fortschrittlich anhört, blieb nicht von Kritik verschont. Ganz im Gegenteil mehrten sich im Laufe der Zeit die Stimmen von Feminist*innen, die argumentieren, dass das Konzept der Menschenrechte zu sehr auf einer westlichen Realität aufgebaut sei und in seiner Ausführung nicht die Mittel biete, um gegen globale Ungerechtigkeiten vorzugehen. Um diese Kritik besser zu verstehen, hilft ein Blick auf die feministischen Strömungen der letzten Jahrzehnte. Nachdem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erlassen wurde, änderte sich für die meisten Frauen zunächst recht wenig: So gut wie alle nationalen Rechtssysteme hielten an einer übergeordneten Stellung des Mannes fest.

Erst mit der „Declaration on the Elimination of Discrimination against Women (DEDAW)“ von 1967, gefolgt von der „Convention on the Elimination of all forms of Discrimination against Women (CEDAW)“, wurden global umfassende Dokumente mit der Aufgabe und dem Ziel geschaffen, geschlechterbedingte Diskriminierungen zu beseitigen. Die beiden Dokumente gelten als Startpunkt für den Erlass von Gesetzen, die eigens mit der Kernaufgabe betraut sind, gegen geschlechterspezifische Ungerechtigkeiten vorzugehen. Ihre Durchsetzung ist hauptsächlich Verfechterinnen des sogenannten „Global Feminism“ zu verdanken. Sie kämpften für eine Änderung der Rechtssysteme, um die gleichen rechtlichen Voraussetzungen und Bedingungen für Frauen und Männer zu etablieren.

Wir halten fest: Die juristische Gleichstellung von Mann und Frau hat sich in weiten Teilen durchgesetzt - eine sehr positive Entwicklung. Der Kampf war lang und zäh, doch er hat sich gelohnt. Ist das Ziel damit erreicht?

Das Paradox des Feminismus


In den 1990er Jahren begann eine neue Ära des Feminismus. Heute auch als „3. Welle“ bezeichnet, begannen Feminist*innen intersektionaler zu denken. Während sich der globale Feminismus bis dato hauptsächlich auf politische und juristische Diskriminierungen konzentrierte und damit vornehmlich auf die Lebensrealität weißer Frauen aus der Mittel- bzw. Oberschicht gemünzt war, will der „neue“ Feminismus, auch intersectional oder post-colonial feminism genannt, die Hürden und Benachteiligungen aller Frauen sichtbar machen und bei der Lösungssuche miteinbeziehen.

Sie argumentieren, dass beispielsweise Women of Colour oder Frauen aus dem globalen Süden meist mehr sozialen und ökonomischen Diskrimierungen ausgesetzt sind. Zudem kritisieren sie die Integration von Frauenrechten in einen menschenrechtlichen Kontext.

Ihrer Meinung nach würden bei einer schlichten Gleichstellung von Männern und Frauen geschlechtsspezifische Probleme nicht genug Aufmerksamkeit zuteil. Wenn man jedoch spezifische Gesetze nur für Frauenrechte erlassen würde, trüge dies zu einer weiteren Marginalisierung bei.

Dieses Problem wird auch als Paradox des Feminismus bezeichnet. Der Widerspruch liegt darin, dass Frauen nicht als eigene wehrlose „Klasse“ angesehen werden wollen, welche zusätzlichen Schutz benötigt. Dieser Gedanke spielte beispielsweise im Rahmen der International Labour Conventions von 1920 eine Rolle: Frauen wurde extra „Schutz“ zugesprochen, der sie von zu anstrengenden, körperlichen Arbeiten oder zu hoher Belastung bewahren sollte. Dieses Bild der zerbrechlichen, schwachen Frau entspricht natürlich nicht mehr unserer heutigen, modernen Auffassung. Hier liegt aber die Krux, da man leider anerkennen muss, dass Frauen nach wie vor geschlechterbedingte Diskriminierungen erfahren. Das macht es erforderlich, sie als benachteiligte Gruppe explizit in ihren Rechten zu stärken.

Um gegen dieses Paradox vorzugehen, wurde Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Strategie entwickelt: Gender Mainstreaming. Diese neue Praxis wurde das erste Mal bei der Wiener Konvention von 1993 und später auch auf der Pekinger Konvention von 1995 verwendet. Gender Mainstreaming bedeutet, eine Geschlechterperspektive in die Entwicklung von Gesetzen, Politik oder Programmen einzubeziehen. Ziel ist es, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern, indem keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in Bezug auf gleiche Rechte, Pflichten und Chancen von Frauen und Männern akzeptiert werden.


Beispiele dafür finden sich in verschiedenen, allgemeinen Kommentaren, die von internationalen Komitees angenommen wurden. Sie erkennen das Geschlecht als einen Faktor an, der bestimmte Erfahrungen beeinflussen kann. Auf diese Weise sollen die Erfahrungen von Frauen berücksichtigt sowie die Wahrnehmung der Menschenrechte durch Frauen weiter gefördert werden.

Verschiedene Probleme - gleiche Lösung?


Es bleibt jedoch die Frage, ob dieser Ansatz wirklich für alle Frauen hilfreich ist. Wie bereits erwähnt, sind Frauen aus dem globalen Norden und Frauen aus dem globalen Süden sehr unterschiedlichen Diskriminierungen ausgesetzt. So leiden Letztere tendenziell mehr unter Ausgrenzungen im sozioökonomischen Bereich.

Das Hauptproblem, das Anhänger*innen des intersectional Feminism kritisieren ist, dass der globale Feminismus vor allem weiße, bürgerliche Ansichten widerspiegelt. Er sei in gewisser Weise eine Fortsetzung des imperialen, kolonialistischen Denkens, bei dem die westliche Welt in der Überzeugung handele, dem globalen Süden helfen zu müssen, sich von seinen religiösen Fesseln und den patriarchalen Strukturen zu befreien. Mit anderen Worten, dass indirekt und unreflektiert westliche Hegemonialpolitik betrieben werde.

Als „westliches Konzept“ sei das System der Menschenrechte vornehmlich zugeschnitten auf die Bedürfnisse weißer Männer. Die Anhänger*innen des intersectional Feminism stellen in Frage, ob dieser Ausgangspunkt für sich genommen überhaupt zielführend sein kann.

Sie argumentieren, dass statt Veränderungen innerhalb des Systems, das gesamte System als solches neu gedacht werden müsse. Denn in seiner jetzigen Form funktioniere es bei vielen Problemen mit denen Frauen insbesondere im globalen Süden konfrontiert sind nicht. Der Entwurf der Menschenrechte als ein westlich geprägter Rahmen und seine Zurückhaltung gegenüber Anpassungen, um die Erfahrungen von Frauen aus dem globalen Süden einzubeziehen, führen zu einem Konzept, das nur dann von Nutzen ist, wenn die Umstände in seiner Umgebung dies zulassen. Trotz aller berechtigten Kritik trägt das formale Konzept der Menschenrechte aber definitiv dazu bei, zunächst einmal die dringend benötigte Aufmerksamkeit auf Diskriminierungen und Ungleichheiten zu lenken. So können sie als Antriebsmittel wirken, um Frauen beim Erwerb bestimmter Rechte auf nationaler Ebene zu unterstützen.


Befassen wir uns mit Frauenrechten, dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir über Rechte für eine noch marginalisierte und strukturell unterdrückte Gruppe reden. Um diese Unterdrückung zu unterbinden, braucht es daher auch ein strukturelles Umdenken in der Gesellschaft. Frauen die gleichen Rechte zuzubilligen wie Männern, ist natürlich ein sehr wichtiger und richtiger Schritt. Aber selbst in Ländern mit geschlechtsneutralem Ansatz, wo dies offiziell, also juristisch der Fall ist, bleibt die tatsächliche und gelebte Gleichberechtigung für Frauen noch zu häufig in vielversprechenden, aber nicht gelebten Artikeln internationaler Dokumente stecken.

Auch wenn große Etappen geschafft und Meilensteine erreicht wurden – bis zur Zielgeraden muss ein politisches und ökonomisches Umdenken erfolgen. Es genügt nicht, lediglich einen Rechtsrahmen umzuschreiben und darauf zu hoffen, dass sich die Lebensrealitäten von Frauen von alleine verändern. Tatsächliche Gleichberechtigung kann nicht allein durch juristische Mittel erreicht werden, es erfordert gesamtgesellschaftliche Anstrengungen in sämtlichen Lebensbereichen.

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