imBilde: Zumrat Dawut



Illustrationen: Lea Donner
„Wie ich aus einem chinesischen Internierungslager entkommen bin“ heißt der Comic, der dieses Jahr mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Dort erzählt Fahmida Azim die Geschichte von Zumrat Dawut, einer uigurischen Frau, die mit ihrem Mann und drei Kindern in Urumtschi wohnt – der Hauptstadt des uigurischen autonomen Gebietes Xinjiang in der Volksrepublik Chin.
Seit 2014 geht der chinesische Staat gezielt gegen die ethnische und religiöse Minderheit der Uiguren und andere vorwiegend muslimische Minderheiten Xinjiangs vor. Westliche Wissenschaftler beschreiben das Ziel der chinesischen Politik in Xinjiang als die „Sinisierung“ indigener Kulturen und die vollständige „Transformation“ der Gedanken und Verhaltensweisen der uigurischen Gemeinschaft. Es handele sich um eine „bewusste Politik des Auslöschens des uigurischen kulturellen Gedächtnisses“. Wie das in der Praxis geschieht, zeigt die Geschichte von Zumrat Dawut.
Sie schildert, wie sich das Gebiet in Urumtschi nach und nach in einen Polizeistaat verwandelt hat. Ende 2016 zwang die Polizei die Bevölkerung, eine App auf ihren Telefonen zu installieren. Jedes Mal, wenn Dawut sich in Bezug auf den Islam äußerte, rief die Polizei sie unmittelbar danach an, erkundigte sich nach ihren genauen Äußerungen. Wer in seinen Häusern Gegenstände hatte, die den Islam repräsentierten, wurde festgenommen – also warfen die Menschen die Dinge weg. Die Abwasserkanäle waren verstopft von entsorgten Koranausgaben.
Anfang 2018 erhielt Dawut einen Anruf von der Polizei, sie müsse sofort auf die Wache kommen. Sie dachte, es handele sich bloß um einen der regelmäßigen Check-Ups, doch sie wurde die ganze Nacht lang verhört – über ihre Telefonate, ihre Auslandsreisen, ihren Mann, ihre Religion. Wolle ihr Mann, dass sie noch mehr Kinder bekommt? Habe sie wegen ihrer muslimischen Religion so viele Kinder? Am nächsten Tag wurden Fotos und Fingerabdrücke von ihr angefertigt und sie wurde ärztlich untersucht: ein Ultraschall, eine Blutentnahme, Augentests, vaginale Untersuchungen.
Die Polizei verfrachtete sie anschließend in ein Auto, zog ihr eine Kapuze über den Kopf und brachte sie in ein Gefängnis. In der Zelle waren mehr als 30 Frauen, es gab nicht für jede von ihnen ein Bett. Die Hälfte lag, die andere Hälfte stand – alle drei Stunden wechselten sie sich ab. Nach eigenen Angaben musste Dawut Schläge von den Wächtern ertragen. An manchen Tagen kamen sie und suchten sich junge, hübsche Mädchen aus, die sie mitnahmen. Dawut fragte bei einem Mädchen nach, was geschehen sei: Die Männer hätten ihr die Klamotten ausgezogen, sie geschlagen und anschließend auf sie uriniert. Danach hatte das Mädchen versucht, sich umzubringen. Weil sie kein Seil hatte, hat sie versucht, ihre eigenen Handgelenke zu zerkauen.
Dawuts Mann bekam keine Auskunft von der Polizei, als er sich dort nach seiner Frau erkundigte. Er ging ins Pakistanische Konsulat in Beijing. Dort baute man Druck auf ihn auf, nicht zur Presse zu gehen. 63 Tage nach Beginn ihrer Haft wurde Dawut wieder zur Polizeiwache gebracht, wo ihr Mann auf sie wartete. Man zwang sie dort, ein Formular auszufüllen: Sie habe extremistische Ideen gehabt und daher ins Internierungslager gemusst – bitte unterschreiben.
Jeden Montagmorgen musste Dawut fortan mit ihrem Mann eine öffentliche Veranstaltung besuchen, bei der die chinesische Flagge gehisst und XI Jinping gefeiert wurde. Im Nachgang an diese Zeremonie wurden im November 2018 Mütter mit mehr als 2 Kindern gebeten, dortzubleiben und zu warten. Dawut und vier andere Frauen blieben, sie wurden ins Krankenhaus verschleppt und betäubt. Dawut wurde sterilisiert. Daraufhin hat sie mit ihrem Mann geplant, zu fliehen.
Ende Januar 2019 musste Dawut erneut zur Polizeiwache, um Fragen zu beantworten. Im Anschluss durfte sie ein Return-Ticket nach Islamabad kaufen. Als sie dort war, riefen die chinesischen Behörden jeden Tag bei ihr an. Sie fragten nach den Namen von Uiguren, die sie in Pakistan traf. Sie hatte Angst, festgenommen zu werden. Doch ihr Flugzeug in Islamabad hob wie geplant ab. Zielort: Washington. Mittlerweile redet Dawut öffentlich darüber, was ihr widerfahren ist. Ihre Brüder ächten sie dafür und reden nicht mehr mit ihr. Doch sie weigert sich, zu schweigen.
Der Comic von Fahmida Azim erzählt Zumrats Geschichte, wie sie Insider.com durch eine Reihe von Interviews und Aussagen vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen erfahren hat.
Es wird geschätzt, dass zwischen ein bis drei Millionen Uiguren in vergleichbare Internierungslager gebracht worden sind.