Das Justizministerium: Bilanz und Ausblick
Nachdem die Wahl die Kräfteverhältnisse im Bundestag stark verschoben hat und sich nunmehr eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ankündigt, stellt sich die Frage, wer in einer solchen Regierung das für die Juristerei wohl wichtigste Ministerium leiten wird. Dabei ist es wichtig zu betrachten, wie die Bilanz der letzten Jahre ausfällt und welche Aufgaben für die oder den neue/n JustizministerIn bevorstehen.
von Valentin Konstant

Eine Bilanz
Das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat umfangreiche Aufgaben. Zuletzt unter der Leitung von Christine Lambrecht (SPD) ist es oftmals beratend für andere Ministerien tätig und hilft diesen bei der Formulierung von Gesetzesvorhaben. Es wirkt dabei in vielerlei Hinsicht als Bewahrer von Systematik und Kontrolleur von formalen Anforderungen.
Doch auch die eigenen Aufgaben sind umfangreich. So ist das BMJV unter anderem zuständig für die Umsetzung europäischer Rechtsakte (Richtlinien) in deutsches Recht und auch für die Begleitung der Besetzung der obersten deutschen Gerichte. Gleichzeitig hält das Justizministerium – zusammen mit dem Innenministerium – die Rolle des „Verfassungsministeriums“ inne.
Doch hier wie dort sieht die Bilanz des Ministeriums mau aus. So kam – trotz gegenteiliger Versprechen – im Zuge der Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie der Uploadfilter. Auch wurde bei der Umsetzung der Whistleblower-Richtline der „große Wurf“ verpasst. An vielen Stellen wurde Kritik laut, weil die Umsetzung in Deutschland lediglich den Schutz von WhistleblowerInnen bei Verstößen gegen EU-Recht bewirkt. Macht einer ArbeitnehmerIn als WhistleblowerIn dagegen Verstöße gegen deutsches Bundesrecht publik, steht er oder sie ohne den neuen Schutz dar. Wie eine WhistleblowerIn (der oder die noch dazu juristischer Laie ist) aber nun selbst identifizieren soll, ob der bemerkte Verstoß ein europarechtlicher oder deutscher ist, muss wohl offenbleiben.
„Die Bilanz des Ministeriums sieht mau aus.“
Insbesondere gab und gibt es großen Streit um die Besetzung der Posten der PräsidentIn bzw. der VizepräsidentIn des Bundesfinanzhofes. Bereits zum 30.07.2020 bzw. 31.10.2020 schieden die bisherigen AmtsinhaberInnen aus dem Dienst aus. Doch die Nachbesetzung durch die Richterwahlkommission hängt weiterhin in der Luft, denn das BMJV hat die Anforderungen an die Qualifikation für diese beiden Posten gesenkt. So mussten bis zur Änderung neue AmtsinhaberInnen mindestens fünf Jahre Revisionserfahrung haben. Das bedeutet, dass sie mindestens fünf Jahre an einem Revisionsgericht als RichterIn Teil eines Senats waren. Die beiden von Lambrecht vorgeschlagenen KandidatInnen waren das jeweils nicht. Anke Morsch – die der SPD nahesteht – war bis zuletzt Präsidentin des Finanzgerichts des Saarlandes, also einer Eingangsinstanz. Sie soll ohne Revisionserfahrung Vizepräsidentin und zugleich Senatsvorsitzende werden. Hans-Josef Thesling, der der CDU nahesteht, soll Präsident und ebenfalls zugleich Senatsvorsitzender werden. Er war zuvor Leiter der Zentralabteilung des Justizministeriums des Landes NRW. Er ist also ebenfalls ohne Revisionserfahrung.
Diese jeweilige Parteinähe hat jedenfalls – so sieht es auch der Richterverein am BFH – den Beigeschmack der Politisierung. Man fühlt sich hier ein wenig an die USA und die Besetzung des Supreme Court erinnert. Hatten die Republikaner dort noch eine späte Besetzung durch Obama blockiert, so ernannten sie unter Trump in letzter Minute weitere genehme Richter. Plakativ gesagt stellt sich die Frage, ob die Angst vor einem Machtverlust nach der Bundestagswahl schon im Jahr 2020 dazu geführt hat, dass man möglichst viele Posten mit genehmen Leuten besetzen wollte, um weiterhin ein gewisses Maß an Macht behalten zu können.
Letztlich hat der Richterwahlausschuss die beiden zwar ernannt und der Bundespräsident die Ernennungsurkunden bereits unterschrieben, doch hindern Konkurrentenklagen die Aushändigung der Urkunden. Zuletzt hat das Verwaltungsgericht München mehreren Konkurrentenklagen gegen die Berufung von Anke Morsch stattgegeben, weil diese in einer niedrigeren Dienststufe standen als die klagenden KonkurrentInnen. Das BMJV muss nun (möglicherweise unter neuer Leitung) eine neue Auswahlentscheidung treffen.
Auch Präsidiumsposten am Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesarbeitsgericht sind seit einiger Zeit unbesetzt. Es wird sich also zeigen, ob die neue Regierung hier eine Lösung finden kann, oder ob sich ein jahrelanger Rechtsstreit ankündigt, der – wie bei Thomas Fischer und dem BGH vor einigen Jahren – zu einer großen Blockade führen wird.
Doch ist dem Justizministerium unter Christine Lambrecht auch einiges Gutes gelungen. So kam mit dem FüPoG II nunmehr die Frauenquote für große Unternehmen. Zwar schwächer als zunächst gedacht – aber eben doch. Auch kamen mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dem Paketbotenschutzgesetz und dem Verbot des Up-Skirtings wichtige neue Regelungen.
Der oder die neue MinisterIn
Wer das Amt nun übernehmen soll, wird vom Ausgang der Koalitionsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP abhängen.
Sich auf eine bestimmte Person festzulegen, erscheint als starke Spekulation, denn es steht noch nicht einmal fest, welche Partei den „Zuschlag“ für den Posten erhält. Nach der derzeitigen Konstellation wechselt Olaf Scholz ins Kanzleramt und die Grünen bekommen die Möglichkeit den oder die VizekanzlerIn zu stellen. Dieser Posten war zumeist verbunden mit dem Amt des Finanz-, Wirtschafts- oder Außenministers. Übernimmt Christian Lindner seinen Wünschen entsprechend als Vorsitzender der FDP das Bundesfinanzministerium, könnten sowohl das Wirtschafts-, als auch das Außenministerium an die Grünen gehen. Hier scheint sich ein Streit mit Robert Habeck aufzutun, der diesen Posten gern für die Grünen übernehmen würde. Geht man aber davon aus, dass die Grünen sowohl das Verkehrs-, als auch das Umweltministerium für sich reklamieren, könnte der größte Partner – die SPD – bei den weiteren Ministerien beinahe frei wählen. So könnte jeweils das Innen-, das Justiz-, das Verteidigungs- und das Arbeitsministerium bei der SPD landen. Trotz ihres Rückzugs aus dem Bundestag hat Christine Lambrecht in einem Spiegel-Interview durchklingen lassen, dass sie für das Amt der Bundesinnenministerin bereitstünde.
„Lambrecht hat durchklingen lassen, dass sie für das Amt der Bundesinnenministerin bereitstünde.“
Das klärt aber noch immer nicht die Besetzung der Ministeriumsleitung im BMJV. Durchforstet man die Parteigremien der SPD auf RechtspolitikerInnen, so trifft man unter anderem auf Esther Dilcher (Rechtsanwältin und Notarin) und Dr. Johannes Fechner (Rechtsanwalt und rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion). Beide wären wohl als JuristInnen fachlich qualifiziert. Wer sich aber durchsetzt, ist bisher nicht absehbar. Auch deshalb nicht, weil – so mag der Autor hoffen – die thematische Auseinandersetzung in den Koalitionsverhandlungen vor dem „Postengeschachere“ und Parteiproporz kommt.
Kommt es doch ander als erklärt, stünden sowohl bei der FDP (z.B. Buschmann, Kubicki, Kuhle) als auch den Grünen (z.B. Künast, Keul, Rößner) einige geeignete KandidatInnen bereit.
Volles Programm im neuen Justizministerium
Wer es auch wird, hat eine volle Agenda. Bereits im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP finden sich zahlreiche Pläne zur Änderung des Grundgesetztes (Kinderrechte, Senkung des Wahlalters, Abschaffung des Wortes „Rasse“, Aufnahme der „sexuellen Identität in Art. 3 GG). Auch einfachgesetzlich sind große Pläne bereits teilweise ausgereift: Anstatt Hartz IV ist ein – noch genauer zu definierendes – Bürgergeld geplant. Massiver Neubau soll den Wohnungsmarkt entlasten. Ein weiteres großes Vorhaben ist die Digitalisierung und Vereinfachung der Verwaltung. Das hatten sich die Grünen und die FDP bereits im Wahlkampf auf die Fahne geschrieben und im Sondierungspapier um ein weiteres konkretes Ziel ergänzt: Verwaltungsverfahren sollen auf die Hälfte der Zeit verkürzt werden. All das sind komplexe Aufgaben, an deren Erfüllung sich die kommende Bundesregierung messen lassen werden muss.