§ 108e StGB – Maskendeals, Mandatsträger und die Reform der Strafbarkeit
Als Anfang des Jahres publik wurde, dass mehrere Politiker bei Verkäufen von Schutzmasken Provisionen in Millionenhöhe eingestrichen haben, war der Aufschrei groß...
Von Valentin Möckl und Valentin Konstant

In einer weltweiten Pandemie und internationalen Krise, die von Solidarität und Verantwortung im Kampf gegen das Corona-Virus geprägt ist (bzw. sein sollte), hatten diese Politiker scheinbar vor allem ihren eigenen Vorteil im Sinn und versuchten, aus der Situation Profit zu schlagen. Folgerichtig kam es daher im Nachgang zur Niederlegung von Mandaten und Parteiaustritten. Denn der Widerspruch zu der Stellung als Person, die vom Volk zur Vertretung seiner Interessen berufen wurde (Art. 38 I 2 GG), erscheint enorm. Schnell kamen Forderungen nach einer strafrechtlichen Aufarbeitung auf. Zusammen mit der Frage, ob der erst im Jahre 2014 überholte Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) einer Reform bedürfe.
Nachfolgend werden wir auf diese Fragen näher eingehen. Dabei legen wir die gegenwärtige Rechtslage und die geplanten Änderungen dar und stellen mögliche Alternativen vor.
Die gegenwärtige Rechtslage
Der Tatbestand zur Wahrung internationaler Standards wurde 2014 maßgeblich überarbeitet und neu gefasst. Nach § 108e I StGB ist strafbar, „wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil […] als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung“ vornimmt oder unterlässt. Es handelt sich also um ein Sonderdelikt, das nur von Bundes- und Landtagsabgeordneten erfüllt werden kann. Die Parallelnorm in Abs. 2 richtet sich an die Geberseite und kann hingegen von jedermann erfüllt werden.
Die Vorschrift soll die Integrität parlamentarischer Prozesse und die Sachbezogenheit parlamentarischer Entscheidungen schützen. Daneben soll aber auch der Freiheit des Mandats aus Art. 38 I 2 GG Rechnung getragen werden, dem maßgeblichen Unterschied zwischen Mandats- und sonstigen Amtsträgern. Dies wird insbesondere durch drei Merkmale umgesetzt:
Der Vorteil muss ungerechtfertigt sein (1), der Mandatsträger muss im Auftrag oder auf Weisung des Vorteilsgebers handeln (2) – und all das bei der Wahrnehmung des Mandats (3).
Der Begriff des „Vorteils“ umfasst nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Zuwendungen. Dabei sind auch Vorteile für einen Dritten beinhaltet; der Mandatsträger selbst muss nicht unbedingt begünstigt werden. Der Tatbestand unterscheidet sich von anderen Korruptionsdelikten aber dadurch, dass der Vorteil ungerechtfertigt sein muss. Dies wird in Abs. 4 durch eine Art Rechtfertigungsklausel konkretisiert. Gerechtfertigt ist danach ein Vorteil, wenn er in Übereinstimmung mit den abgeordnetenrechtlichen Normen steht. Daher sind gesetzlich zulässige Spenden kein Vorteil nach Abs. 4 S. 2 Nr. 2. Ob ein ungerechtfertigter Vorteil vorliegt oder nicht, hängt nicht davon ab, dass die Entgegennahme des konkreten Vorteils ausdrücklich erlaubt ist. Sofern keine Verbotsnorm einschlägig ist, reicht es aus, dass die Annahme im parlamentarischen Umfeld anerkannt ist. Diese Unbestimmtheit birgt letztlich das Risiko von Strafbarkeitslücken, ebenso wie die fehlende Einbeziehung nachträglicher Belohnungen. Gerade Letzteres sollte überdacht werden, da auch hier der Anschein der Käuflichkeit gegeben sein kann.
Für eine Handlung „im Auftrag oder auf Weisung“ bedarf es einer engen Kausalbeziehung zwischen dem Einwirken des Vorteilsgebers und der Tätigkeit des Abgeordneten. Die Formulierung knüpft an Art. 38 I 2 GG an – wonach Abgeordnete nicht an Aufträge und Weisungen gebunden sind – und verlangt eine Unterwerfung unter die Interessen des Vorteilsgebers. Problematisch ist, dass regelmäßig Vorteilsgeber und -nehmer gleichrangig agieren, ohne dass sich einer dem anderen unterordnet. So wird auch vertreten, dass ein Abgeordneter, der die Initiative ergreift und auf einen möglichen Vorteilsgeber zugeht, also eine dominierende Rolle einnimmt, nicht als unterwürfig angesehen werden kann, und daher straflos bleibt. Ein solches Verständnis verkleinert den Anwendungsbereich der Handlungsvariante des Forderns deutlich. Jedenfalls sind aber Konstellationen ausgenommen, in denen der Mandatsträger schon vor der Unrechtsvereinbarung eine den Interessen des Vorteilsgebers entsprechende Überzeugung vertrat. Erwähnenswert ist außerdem, dass der Tatbestand bereits erfüllt ist, wenn ein Mandatsträger sich bereit zeigt, eine bestimmte Tätigkeit in Wahrnehmung des Mandats vorzunehmen oder zu unterlassen. Der tatsächlichen Vornahme einer Handlung „auf Weisung“ bedarf es also nicht.
Schließlich verlangt das Handeln „bei der Wahrnehmung des Mandats“ Tätigkeiten in Parlaments- oder Fraktionsgremien. Damit werden anerkannte Nebentätigkeiten oder Handlungen im Zusammenhang mit dem Mandat vom Tatbestand nicht erfasst. Nutzt ein Mandatsträger die mit seiner Abgeordnetenstellung einhergehenden Einflüsse oder Beziehungen, um Geschäfte ohne Zusammenhang mit der Parlamentstätigkeit abzuschließen, bleibt er straflos. Gerade dies führte in der Vergangenheit wie Gegenwart dazu, dass von der Staatsanwaltschaft aufgenommene Ermittlungen letztlich ohne Anklage endeten.
Geplante Reform
Die im Raum stehenden Reformpläne wurden von der SPD vorgeschlagen und erhielten Zustimmung seitens der Unionsfraktion. Mittlerweile gibt es auch einen eigenen Vorabentwurf der AfD-Fraktion. Einigkeit besteht dabei darüber, dass eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe eingeführt werden soll. Damit würde die Mandatsträgerbestechlichkeit fortan als Verbrechen qualifiziert (vgl. § 12 I StGB) mit der Folge, dass auch ein Versuch strafbar wäre. Dies soll die Integrität der Mandatsträgerschaft erhöhen und dient generalpräventiven Aspekten. Die Strafbarkeit des Versuchs ist aber von allenfalls nebensächlicher Bedeutung, da die Tatbestandsvarianten teilweise schon in das Versuchsstadium hineinreichen. Daneben sollen auch Vorschriften des PartG und AbgG geändert werden, etwa in Gestalt der Statuierung eines Spendenannahmeverbots in § 44a II AbgG. Begründet wird dies damit, dass angesichts der monatlichen Entschädigung für die Mandatstätigkeit in Höhe von knapp 10.000 Euro (§ 11 I AbgG) kein Bedürfnis für eine Annahme von Spenden bestehe. Eine solche Regelung hätte auch Konsequenzen für die Rechtswidrigkeit des Vorteils, da die individuelle Annahme einer Spende infolgedessen stets einen ungerechtfertigten und mithin strafwürdigen Vorteil darstellt.
Kritik an der Reform
Das Aufstellen eines Spendenannahmeverbots und die damit einhergehenden Auswirkungen auf den Tatbestand wären definitiv zu begrüßen, da so bereits Möglichkeiten der illegalen Verknüpfungen von finanziellen Mitteln mit der Mandatsausübung verringert werden.
Dagegen verwundert die Diskussion um die Anhebung der Mindestgrenze. Es mag zwar fragwürdig erscheinen, warum § 108e StGB eine geringere Untergrenze vorsieht als die §§ 332, 334 StGB. Dennoch ist die Höhe der angedrohten Strafe für den Abschreckungseffekt einer Strafnorm in der Regel nicht unmittelbar relevant. Maßgeblich ist stattdessen, dass überhaupt eine strafrechtliche Missbilligung erfolgt und damit ein Gebot zur Rechtstreue aufgestellt wird. Entscheidend für den Entschluss, eine verbotene Handlung zu begehen, ist letztlich, wie hoch der Betreffende die Wahrscheinlichkeit einschätzt, beim Normverstoß entdeckt und bestraft zu werden. So waren in der Vergangenheit nicht milde Strafen – die eine Erhöhung des Strafrahmens nahelegen würden – das Problem, sondern dass es fast nie zu Anklagen kam. Denn die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften endeten regelmäßig mit dem Ergebnis, dass keine Anklage erhoben werden könne, da bereits der Tatbestand der Mandatsbestechlichkeit nicht erfüllt sei. Inwiefern eine Erhöhung des Strafrahmens von Taten abschrecken soll, die bereits in der Vergangenheit nicht dem Tatbestand unterfielen, erschließt sich daher nicht. Die Rechtsfolgenseite der Norm bedarf keiner Überarbeitung.
Doch welche Alternativen gibt es?
Das Augenmerk einer Reform sollte auf der Nachverfolgung und strafgerichtlichen Aufarbeitung der Abgeordnetenbestechung liegen. Der angestrebte generalpräventive Effekt würde so eher erreicht werden. Eine Option wäre dabei, die Möglichkeiten zur Nachverfolgung der Tätigkeiten von Mandatsträgern auszubauen, etwa in Form eines umfassenden Lobbyregisters. So würden fragwürdige Transaktionshöhen schnell sichtbar und zugleich auch die möglichen Vorteilsgeber kenntlich gemacht. Ein vergleichbares Konzept funktioniert bereits in Bezug auf den kapitalmarktrechtlichen Insiderhandel und sogenannte „directors dealings“.
Daneben bieten sämtliche dargelegten Restriktionskriterien einen Anhaltspunkt für Überarbeitungen auf Tatbestandsebene. Diese führen dazu, dass der Tatbestand aktuell nahezu unerfüllbar ist. Gerade hier setzen die Bemühungen von SPD und Union leider nicht an. Der Gesetzgeber wollte mit dem Entwurf aus dem Jahre 2014 zwar verhindern, dass sich ein Abgeordneter darauf berufen kann, er habe sich sowieso im Interesse des Vorteilsgebers verhalten wollen oder einen Auftrag oder eine Weisung zurückgewiesen. In der Praxis sind solche Einlassungen aber kaum zu widerlegen, was nicht unerhebliche Beweisprobleme zur Folge hat. Eine Streichung des Merkmals „im Auftrag oder auf Weisung“, die bereits in der Literatur gefordert wurde, würde hier Abhilfe schaffen und die Abschreckungswirkung des Straftatbestandes sowie die Rechtssicherheit der Normanwendung fördern.
Weiterhin könnte die Verknüpfung mit der „Wahrnehmung“ des Mandats überdacht werden. Stattdessen könnte darauf abgestellt werden, dass die Handlung im Zusammenhang mit dem Mandat stattfinden müsste. Damit dürften etwa Kontakte aus der Mandatsträgerschaft nicht zur Wahrnehmung von Aufgaben, die außerhalb des Mandats liegen, genutzt werden. So würde die Möglichkeit zur Ziehung von Früchten aus der Mandatsarbeit neben der Abgeordnetenvergütung eingeschränkt. Dem Argument, dass dies eine Berufstätigkeit des Abgeordneten und mithin dessen Anbindung an das Leben außerhalb des Parlaments verhindern würde, kann dadurch begegnet werden, dass die Beweislast für den „Zusammenhang“ mit dem Mandat wie sonst auch bei der Staatsanwaltschaft liegt. Greift ein Mandatsträger auf Kontakte zurück, über die er bereits vor Mandatsbeginn verfügte, so wäre er nicht strafbar. Diese Argumentation würde jedoch nur dann relevant, wenn man davon ausginge, dass Mandatsträger neben ihrem Mandat überhaupt noch voll berufstätig sein sollen. Das wiederum ist jedoch eine politische Entscheidung.
Fazit
Der Gesetzgeber steht vor einer Abwägungsentscheidung, die – wie er auch bereits im Entwurf von 2014 ausführte – nicht so einfach vorzunehmen ist. Einerseits soll die Freiheit des Mandats gewahrt werden, andererseits aber auch Korruption und Bestechung wirksam vorgebeugt werden. Zwei nur schwerlich miteinander zu vereinbarende Positionen. Gerade aber die in den letzten zwölf Monaten immer wieder betriebenen Ermittlungen gegen Abgeordnete zeigen, dass die Amtsträgerkorruption ein ernstzunehmendes Problem ist, und es definitiv einer Neufassung des Tatbestandes bedarf.
Dabei muss weiterhin der Freiheit des Mandats Rechnung getragen werden. Eine Übernahme oder Angleichung an den Wortlaut von § 334 StGB wäre verfehlt. Gleichwohl sollte in Betracht gezogen werden, zumindest eines der dargelegten einschränkenden Kriterien aufzugeben oder aufzuweichen. Dies wäre ein Schritt, der signalisieren würde, dass es dem Gesetzgeber tatsächlich auf eine Verschärfung der Amtsträgerbestechlichkeit ankomme, und würde dem nicht fernliegenden Vorwurf der Symbolpolitik der aktuell geplanten Änderung den Wind aus den Segeln nehmen. Zudem würde auch die gerichtliche Durchsetzung des Tatbestandes erleichtert.