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No Time To Play - Mit Klimaklagen zu einer Klimazukunft?

Früheres Handeln hätte die Klimakrise abwenden können. Das ist wohl die frustrierendste Tatsache des Klimawandels. Mit jedem weiteren Jahr, das vergeht, erhöhen sich die Emissionseinschränkungen, die notwendig sind, um die globale Erderwärmung zu begrenzen. Wie aber schaffen wir eine klimaneutrale Zukunft?


von Louise Duchscherer und Alba Seibt, R&P Legal


© Antonia Hinterdobler


Insbesondere die Frage nach Verantwortung könnte hier endlich entscheidend sein. Denn wie wir sie beantworten, hat einen unvermeidlichen Einfluss auf die Lösungsansätze, die wir künftig heranziehen, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren und Klimaschäden zu beheben. Lässt sich Verantwortung in Klimafragen bestimmten Akteuren zuordnen, können eben diese auch in Anspruch genommen werden. Dabei geht es nicht um das Herausstellen vermeintlich alleiniger Verantwortlichkeit. Zum Beispiel mangelt es vielen Menschen auf der Welt an Zugang zu sauberem Strom. Um Strom zu produzieren, nutzen sie emissionsreiche Dieselgeneratoren. Es fällt schwer, hier mit Zugzwang anzusetzen. In einer Versorgungskette, die von fossiler Energiegewinnung durch Konzerne, über Regierungen, die solche Produkte regulieren, bis hin zu Konsument:innen, die diese Produkte kaufen, reicht, ist es schwierig, Verantwortung eindeutig zuzuschreiben. Aber wer ist denn nun für die Umsetzung von Klimaschutzzielen verantwortlich?


Die Zunahme umweltbewusster Privatentscheidungen — „Recup“ für den Coffee to go, die Bahnfahrt anstelle des Inlandflugs, Veganismus und geringerer Fleischverzehr — hat die Erfüllung der Pariser Klimaziele jedenfalls nicht in erreichbare Nähe gerückt. Indes füllen sich die corporate responsibility reports und der Begriff greenwashing hält Einzug in unser aller Wortschatz.


Gleichzeitig rückt der Verantwortungsbegriff auch in der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Diskussion in den Fokus. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24. März 2021 den Gesetzgeber angehalten, das Klimaschutzgesetz deutlich nachzuschärfen. Das oberste Gericht wies auf die Verantwortung des Gesetzgebers hin, einen effektiven rechtlichen Rahmen zum Zwecke des Klimaschutzes zu schaffen.


Noch konkreter beschäftigen sich die Zivilgerichte mit der Verantwortlichkeit einzelner Unternehmen für Klimaschäden, wie zurzeit auch das Oberlandesgericht Hamm. Unterstützt durch die NGO Germanwatch klagt der peruanische Landwirt und Bergführer Saúl Luciano Lliuya gegen den deutschen Energiekonzern RWE und fordert Schadensersatz. „Unternehmen, die durch ihre Tätigkeiten Risiken für andere verursachen, sollten dafür Verantwortung übernehmen“, verlangt Lliuya. Sein Dorf liegt am Fuße eines Gletschersees in den peruanischen Anden. Das Schmelzen der Gletscher lässt den Wasserspiegel des Sees ansteigen. Sein angrenzendes Dorf, Huaraz, droht zu überschwemmen.


Der Klage liegt der Carbon Majors Report 2014 zugrunde. In diesem werden CO2-Emissionen verschiedenen Verursachern nachweislich zugeordnet. Demnach sind seit 1990 einhundert Unternehmen für 71 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Dem Unternehmen China Coal kommt hierbei mit 14,3 Prozent der weltweit höchste Anteil an Emissionen zu. RWE befindet sich mit einem Anteil von 0,47 Prozent auf Platz 40 der Liste. Damit gehört der Energiekonzern zu einem der weltweit größten CO2-Emittenten. Bekräftigt wird dieser wissenschaftliche Befund mit dem aktuellen Carbon Majors Report 2017, veröffentlicht im Fachmagazin Nature Geo Science. Befunde wie dieser unterstützen den peruanischen Kläger dabei, die Bedrohung seines Lebensraums rechtlich auf das Verhalten des deutschen Energiekonzerns zurückzuführen.


Lliuya macht in seiner Klage einen Anspruch aus § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geltend. Dort steht: „wird das Eigentum (…) beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. (…) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.“ Der Kläger fordert, dass sich RWE an den Kosten für die erforderlichen Schutzmaßnahmen beteiligt, damit der See sein Dorf nicht überschwemmt. Der eingeforderte Betrag orientiert sich an den vom Unternehmen ausgestoßenen CO2-Emissionen. Dieser Anteil beläuft sich auf 0,47 Prozent, sodass in der Klage die anteilige Übernahme der Kosten für die Schutzmaßnahme in Höhe von 0,47 Prozent gefordert wird.


Lliuyas Klage beinhaltet eine Vielzahl interessanter juristischer Probleme. Es ergibt sich zum einen die Frage nach der Kausalität zwischen dem Verhalten des Störers zur Störung. Kausalität im Sinne einer Haftung nach § 1004 BGB fragt nach dem Ursachenzusammenhang zwischen Aktion und Wirkung. Hat das Verhalten des Energiekonzerns zur Gletscherschmelze geführt, die wiederum Huaraz bedroht? Die rechtliche Schwierigkeit liegt dabei auch darin, dass die Klage bereits an das Jahr 1751 anknüpft. Ein Zeitpunkt, der Jahrhunderte zurück liegt. Zudem ist RWE nicht alleiniger Emittent. Der Emissionsanteil von China Coal ist, wie schon erwähnt, nachweislich deutlich höher. Die Anteile beider Kohleförderer zusammen und erst recht die Anteile der hundert größten CO2-Emittenten addiert, ergeben ein aussagekräftigeres Bild. Juristisch spricht man hier von der Summation mehrerer CO2-Emittenten. Bei Schäden, die aufgrund des Zusammenwirkens mehrerer Verursacher:innen entstehen, spricht man von Summationsschäden. In solchen Fällen ist es schwierig, die Ursache für den Schaden einem der Akteure:innen zuzuweisen. Gerade die Vermischung der Beiträge und die daraus folgende Ununterscheidbarkeit ebendieser, macht eine individuelle Zuordnung schwierig. Ob RWE anteilig für Schäden, die durch die Gletscherschmelze nahe Huaraz entstehen, haftet, wird das Oberlandesgericht Hamm entscheiden müssen. In der Vergangenheit wurden Klagen aufgrund von Summationsschäden an der Umwelt von deutschen Gerichten jedenfalls abgelehnt.


Zum anderen muss geprüft werden, ob eine Duldungspflicht Lliuyas besteht. Denn RWE besitzt bestandskräftige Genehmigungen zur Kohleförderung. Es ist und war dem Konzern erlaubt, Kohle zu fördern und die damit verbundenen CO2-Emissionen zu verursachen. Im Falle des Erfolges der Klage würde RWE rückwirkend für den CO2-Ausstoß haften, der dem Konzern zu einem anderen Zeitpunkt erlaubt war. Entscheidet das Gericht dann noch nach gesetzlichen Vorgaben? Denn was würde eine Entscheidung zu Gunsten Lliuyas für die Wirksamkeit und den Vertrauensschutz in bestandskräftige Genehmigungen bedeuten? Damit verbunden sind auch übergeordnete staatspolitische und rechtliche Fragen. Denn private Akteure könnten darauf verweisen, dass die Bekämpfung des Klimawandels eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, gerade weil der Staat die Verantwortung trägt, einen effektiven Ordnungsrahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu schaffen.


Stoßen Klimaklagen also künftig die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Erderwärmung an? Auf internationaler Ebene finden sich Urteile, die in diese Richtung verweisen. Ein Gericht in den Niederlanden wies im Jahr 2021 den Ölkonzern Shell an, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu senken. Es ist das erste Mal, dass ein Gericht einen privaten Konzern dazu verpflichtet, Klimafolgen abzuwenden. In seiner Begründung sprach das Gericht von einer menschenrechtlichen Verpflichtung. Auch in Australien verweigerte ein Gericht im Jahr 2019 einem Bergbauunternehmen eine weitere Genehmigung zum Kohleabbau. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit den einhergehenden Folgen für die Erderwärmung bei erneuter Erteilung der Genehmigung und verwies auf die Pariser Klimaziele, die dann nicht mehr zu erreichen wären. Ist die Haftung von Hauptverursacher:innen also der Schlüssel zur systematischen Veränderung und schließlich zur Klimawende? Da jedes Land sein eigenes Justizsystem hat, der Klimawandel jedoch ein globales Problem ist und die Folgeschäden überall auf der Welt auftreten, ergibt sich eine weitere Problematik: Wer darf Klimaklagen überhaupt stattgeben und wer führt diese Urteile dann aus?


Vor kurzem erhoben Klimaschutzaktivist:innen aus Österreich Klage gegen den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Bolsonaros Klimapolitik sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so die Kläger. Beispielhaft zeigt diese Klage auch, wie notwendig global verbindliche Regelungen sind, denn der Den Haager Strafgerichtshof ist nicht verpflichtet, überhaupt Ermittlungen einzuleiten. Ganz zu schweigen davon, ob die Klimapolitik Bolsonaros überhaupt vom Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erfasst wird, oder vielmehr ein neuer Straftatbestand, wie der vom britisch-französischen Juristen Philippe Sands geforderte „Ökozid“, notwendigerweise eingeführt werden muss.


In Deutschland wird erst noch entschieden, ob nach geltendem Recht eine stärkere Verpflichtung von Unternehmen möglich ist und ob damit eine innerstaatliche Lösung für eine mögliche Klimahaftung existiert. Deutsche Gerichte haben sich in der Vergangenheit bereits in umwelt- und klimapolitische Fragen eingemischt. Das Oberverwaltungsgericht NRW ordnete den Rodungsstopp im Hambacher Forst an und das Bundesverwaltungsgericht machte Fahrverbote in deutschen Innenstädten möglich. Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung im März sicherte kommenden Generationen den Anspruch auf eine klimagerechte Politik und Zukunft. In der Begründung heißt es, dass jetzt nicht ergriffene Maßnahmen zu einer rechtlichen Gefährdung künftiger Freiheiten führen.


Es bleibt spannend, wie ein deutsches Zivilgericht mit der Klage eines peruanischen Bauern gegen ein weltweit agierendes deutsches Unternehmen weiter verfährt. Fest steht: Der Klimawandel ist in vollem Gange und wird weitere Klimaschäden verursachen. Wer für diese Schäden aufkommt, muss künftig entschieden werden. Das Urteil am Oberlandesgericht Hamm könnte für die Zukunft der Klimaklagen in Deutschland richtungsweisend sein.


Ob Saúl Luciano Lliuyas Klage nun abgewiesen wird oder nicht, öffentlichkeitswirksam ist sie allemal. Die Klage rückt die Dringlichkeit der Verantwortungsübernahme in der Klimakrise in das öffentliche Bewusstsein und stößt eine genaue Betrachtung der Versorgungsketten an. Neben der Entwicklung klimaneutraler Produkte in Zusammenarbeit von Industrie und Forschung und der radikalen Umwälzung der lokalen und globalen Energieversorgung ist die Zurechenbarkeit von Klimaschäden ein wichtiger Baustein auf dem Weg in eine klimagerechte Zukunft. Schlussendlich geht es auch um die Frage, was passieren muss, damit Akteuren der weltweiten Versorgungsketten verbindliche Pflichten auferlegt werden können, klimafreundlichem Handeln gegenüber klimaschädlichem Handeln den Vorzug zu geben.

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