Politische Modernisierung durch Amtszeitbegrenzung?
Angela Merkel war 16 Jahre lang Kanzlerin. In der Bundesrepublik gelang das neben ihr nur Helmut Kohl (1982 – 1998). Am Ende von Merkels Ära steht auch die Frage, ob es weiterhin möglich sein soll, dass ein(e) Kanzler:in derart lange im Amt sein darf. Nach Kohls damaligem Abtritt titelten einige Zeitungen, dass Deutschland „der kranke Mann Europas“ sei. Viele führten dies schon damals auf Kohls lange Amtszeit und eine damit einhergehende Reformstagnation zurück. Heute gilt es oft als Grund für seine Abwahl. Doch lohnt sich eine Amtszeitbegrenzung auf beispielsweise acht Jahre überhaupt oder „regelt das der Markt“?
von Valentin Konstant

Andere Posten und Länder
Um die Amtszeitbegrenzung und ihren Sinn und Zweck einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf andere Posten in Deutschland und in einige andere demokratische Staaten.
Neben dem Posten der Bundeskanzler:in existiert in Deutschland in vergleichbarer Weise nur der Job des Bundespräsidenten (bisher waren zwölf Männer auf diesem Posten, nie eine Frau). Der Vergleich zu neun Kanzler:innen zeigt, dass deren Amtszeiten im Schnitt kürzer waren – trotz längerer Amtsperioden. Das hat auch einen Grund: gem. Art. 54 Abs. 2 S. 2 GG ist die Wiederwahl eines Bundespräsidenten nur einmal möglich. Weil eine Amtszeit fünf Jahre dauert (Art. 54 Abs. 2 S. 1 GG), ist die Gesamtdauer damit maximal auf zehn Jahre beschränkt. Bei Bundeskanzler:innen ist die Amtszeit – abhängig von der Wahlperiode des deutschen Bundestages – maximal vier Jahre und so oft, wie möglich. Im Vergleich der Posten ist aber zu beachten, dass der Bundespräsident traditionell nicht an der Tagespolitik teilnimmt, sondern sich um protokollarische Aufgaben kümmert. Dabei hat der deutsche Verfassungsgeber eine Abkehr von der Weimarer Reichsverfassung vorgenommen. Der oder die Bundeskanzler:in ist dagegen – vom Bundestag gewählt – das „Leitungsorgan“ der Bundespolitik.
Ein Vergleich mit den USA und Frankreich zeigt, dass dort ebenfalls Regelungen die Amtszeit des US-Präsidenten und des französischen Staatspräsidenten begrenzen. So sichert der 22. Zusatzartikel der US-Verfassung seit 1951, dass niemand mehr als zweimal zum Präsidenten gewählt werden kann. Bereits weit vorher war dies eine ungeschriebene Regel. Die maximale Amtszeit beträgt in den USA damit acht Jahre. Im Unterschied zur Kanzlerschaft hat der US-Präsident jedoch weitergehende Befugnisse (Vetorechte, Befehlshaber der Truppen etc.). Ein dem Bundespräsidenten gleichstehendes Amt gibt es in den USA nicht.
In Frankreich sichert Art. 6 S. 2 der französischen Verfassung, dass eine Wiederwahl eines Präsidenten nur einmal möglich ist. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre pro Wahlperiode, damit zehn Jahre maximal. Für den Premierminister Frankreichs gilt eine solche Beschränkung nicht. Im Gegensatz zum deutschen Bundespräsidenten übernimmt der französische Staatspräsident jedoch in der Regel nicht nur die repräsentativen Aufgaben, sondern ist insbesondere in der Außenpolitik verantwortlich.
Aus diesen Beispielen lässt sich keine eindeutige Praxis ableiten, aber es zeigt sich, dass hohe Regierungs-Posten meist mit zeitlichen Begrenzungen versehen sind.
Begrenzung der Kanzlerschaft in Deutschland
Ob die Kanzlerschaft begrenzt werden soll, ist zwischen den Parteien umstritten. So hat sich die Junge Union bereits vor Jahren in der CDU/CSU für eine Begrenzung eingesetzt. Die jetzige Außenministerin Annalena Baerbock hat 2018 im Spiegel für die Grünen vorgebracht, dass die Folge einer Begrenzung „eine andere Art des Führens“ wäre. Auch die FDP befürwortet die Änderung.
Das wohl stärkste Argument für eine Begrenzung der Kanzlerschaft auf zwei Amtszeiten ist wohl, dass damit automatisch eine Erneuerung beim höchsten politischen Amt stattfinden würde. Hierfür müssten immer neue Mehrheiten gefunden werden. Neue Mehrheiten fordern neue Kompromisse und fördern neue Ideen. Besondern plakativ erscheint in diesem Zusammenhang, dass bei den Bundestagswahlen 2017 der Wahlslogan der Amtsinhaberin Merkel „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ war und im Jahr 2009 „Die Mitte“. Neue Ideen sind daraus nicht ersichtlich. Auch konnte man am Ende der vergangenen vier Jahre eine gewisse Amtsmüdigkeit erkennen.
Gegen eine Beschränkung spricht, dass sich ohne Begrenzung die beste Person durchsetzen muss. Kevin Kühnert sagte 2018 im Spiegel: „das regelt der Markt“. Wobei man auch hier entgegnen muss, dass der daraus folgende Personenkult äußerst problematisch ist. Es setzt sich – nach dieser Sichtweise – eben nicht die beste Idee durch, die Mehrheiten findet und auch im Konsens für viele Menschen tragbar ist. Sondern die Person, die irgendwelche Ideen am besten präsentiert. Hier besteht die Gefahr, dass an die Spitze kommt, wer am cleversten nach Macht strebt und dabei auch Konkurrenten ausschaltet. Das „ad hominem“ Argument rückt hierbei als legitimes Mittel der Politik ins Zentrum des Geschehens.
Hier wären wir wieder bei Merkel (und auch Kohl), die besonders gut darin waren, ihre Konkurrent:innen auflaufen zu lassen und Mehrheiten, die bereits durch gute Ideen entstanden waren, für sich zu nutzen. Ein Lied davon kann zum Beispiel Friedrich Merz singen, ebenso Christian Wulff oder Roland Koch.
Abweichend von den negativen Aspekten des Personenkults, war bei Angela Merkel vor allem ihre Stabilität in der Amtsführung weltweit anerkannt. Auch die Fähigkeit in schwierigen Situationen (wie der „Flüchtlingskrise“ 2015) besonnen zu reagieren, ist wohl keine Fähigkeit, die man so einfach „kann“. Sie bedarf Erfahrung mit Macht.
Auch die europäische und deutsche Einigung unter Kohl konnten wohl nur stattfinden, weil er so lange Kanzler war. Diese „Projekte“ bedurften Zeit an der Macht, um durchgesetzt zu werden. Zynisch könnte man meinen, ihre Umsetzung dauerte so lange, weil kein Amtszeitende drohte.
Die positiven Aspekte sind aber keine Argumente, um eine Amtszeitbegrenzung auszuschließen. Als Kompromiss könnte die Dauer der Amtsperiode auf fünf Jahre verlängert werden. In diesem Rhythmus werden auch der Bundespräsident und viele Landesparlamente gewählt. Eine Kanzlerschaft würde dann maximal zehn Jahre dauern.
Wege zum Ziel
Die Kanzlerschaft in Deutschland auf zwei Amtszeiten zu begrenzen und möglicherweise hierbei auch die Legislaturperiode zu verlängern, bedürfte einer Verfassungsänderung. Artikel 63 Abs. 1 GG müsste wohl ergänzt werden. Eine solche Ergänzung könnte nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat durchgesetzt werden. Nachdem sich die CDU/CSU für eine Begrenzung ausgesprochen haben und sich FDP und Grüne jedenfalls nicht abgeneigt zeigen, die SPD sich jedoch – wohl auch, weil man gerade den Kanzler stellt – dagegen ausgesprochen hat, ist bereits die Mehrheit im Bundestag fraglich. CDU/CSU, Grüne und FDP kämen auf knapp 55 Prozent. Nur eine Zusammenarbeit mit der AfD würde die ¾-Mehrheit im Bundestag sichern. Weil die SPD jedoch in elf von 16 Bundesländern mitregiert, ist auch die Mehrheit im Bundesrat sehr fraglich. Würde die SPD jedoch das Projekt unterstützen, wären die notwendigen Mehrheiten in beiden Gremien – mit demokratischen Parteien und ohne Stimmen vom rechten Rand – leicht erreichbar (Bundestag: 83 Prozent, Bundesrat: möglicherweise einstimmig).
Selbsterneuerung von Spitzenposten wagen
So schwierig die Gegebenheiten für eine Verfassungsänderung derzeit aussehen, so sinnvoll erscheint es jedenfalls, die Kanzlerschaft auf zwei Amtszeiten zu begrenzen. Das Problem der Kontinuität von Amtsführung als Notwendigkeit für politische Projekte ließe sich durch eine leicht verlängerte Amtszeit abfedern – auch, wenn acht Jahre schon viel Zeit für die Umsetzung von Projekten ist.
Am Ende lässt sich das Thema wohl damit abrunden zu sagen, dass „eine dritte Amtszeit anzustreben ist, wie einen dritten Hangover Film zu machen. Funktioniert nicht wirklich.“ (Barack Obama bei „between two ferns“ Staffel 1, Episode 17; Übersetzung des Autors).