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Polizeigewalt und Justiz (3/4)

In Fällen rechtswidriger polizeilicher Gewalt sehen sich Opfer nach der Tathandlung noch mit einem weiteren Problem konfrontiert: Dem, justizielle Gerechtigkeit zu erfahren. Nun weiß jede:r, der:die mindestens einige Monate Jura studiert hat, dass Recht nicht alles ist - nicht wenige sehen in der Abwägung insbesondere die Rechtssicherheit gar als das höhere Gut an. Doch auch hierbei scheinen sich im Fall polizeilicher Gewaltanwendung Hürden zu ergeben.


von den Autor*innen von Veris Advocacy


© Nora Hüttig


Bereits das Anzeigeverhalten ist hier durch diverse Umstände gehemmt, wie z.B. die KviAPol-Studie der Ruhr-Universität Bochum zeigt. In lediglich 9% der im Rahmen der Befragung registrierten Fälle polizeilicher Gewalt kam es zu einer Anzeige. Dies entspricht einer Dunkelzifferrelation von 1:6. Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine repräsentative Befragung, jedoch kommen die Studienbetreiber nach kritischer Analyse zum Schluss, dass bei konservativer Betrachtung ein Dunkelfeld angenommen werden kann, welches mindestens fünfmal so groß sei, wie das Hellfeld. Die im Rahmen der Befragung meistgenannten Gründe, weshalb sich Betroffene gegen eine Anzeige entschieden hatten waren „Eine Anzeige hätte nichts gebracht, da Polizist:innen nichts zu befürchten haben“ (M=4,71), „Ich konnte den Täter nicht identifizieren“ (M=4,12) und „Ich befürchte, eine Gegenanzeige zu bekommen“ (M=3,99).


Die Annahme Betroffener, Polizist:innen hätten nichts zu befürchten, lässt sich vor allem als Problem des justiziellen Verfahrensbereichs verorten. Die Anklagequote der Staatsanwaltschaft für Verfahren gegen Polizeibedienstete wegen Gewaltausübung lag für das Jahr 2018 bei 1,98% aller Verfahren. Die deliktsübergreifende Anklagequote von 24% für das gleiche Jahr liegt damit über zwölf Mal so hoch, auch für vorsätzliche Körperverletzungsdelikte im Allgemeinen zeigt sich mit 21% eine deutlich höhere Zahl an erhobenen Anklagen. Umgekehrt resultiert daraus eine Einstellungsquote von 97,6 % solcher Verfahren gegen Polizeibeamt:innen. Dabei war der Einstellungsgrund in 93,6% der Verfahren § 170 II StPO, also kein hinreichender Tatverdacht.


Ein Faktor für diese krassen Differenzen zwischen Verfahren gegen Polizeibeamt:innen auf der einen und gegen „alle anderen“ auf der anderen Seite, mag sein, dass Staatsanwält:innen in ihrer alltäglichen Arbeit grundsätzlich auf die Mithilfe und Unterstützung der Polizei angewiesen sind. Schwierig erweist sich hierbei insbesondere die Ambiguität zwischen der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Bereich der Strafverfolgungstätigkeit auf der einen Seite und der Dienstaufsicht auch in diesem Bereich durch die Dienstvorgesetzten des Polizeidienstes auf der anderen. Hieraus resultiert eine “fehlende Disziplinarkompetenz der Staatsanwaltschaft über ihre »Ermittlungspersonen« (§ 152 GVG)”. Mithin ist die Staatsanwaltschaft auf Kooperation und konstruktive Zusammenarbeit des Innenressorts der Polizei angewiesen, um ihrer Aufgabe nachzukommen. Ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Polizei ist im Berufsalltag für Staatsanwält:innen weder förderlich noch umsetzbar.


Auch gegenüber Kolleg:innen innerhalb der Staatsanwaltschaft entsteht ein gewisser Legitimationsdruck, falls Vorwürfe gegen einzelne Polizeibeamt:innen erhoben werden.

Ebenso wird die Durchermittlung solcher Vorwürfe durch Blockaden vonseiten der Polizei erschwert. Ursächlich hierfür ist mitunter der „Code of Silence“ innerhalb der Cop Culture. Beamt:innen können und wollen sich entweder nicht vorstellen, eine:r der ihren konnte sich rechtswidrig verhalten haben - oder sehen gezielt darüber hinweg.


Aufgrund der Interessenparallelität fällt es Staatsanwält:innen zudem oftmals leichter, ein besonderes Berufsverständnis für Polizeibeamt:innen aufzubringen, welches sich in Form eines „Behördenbonus“ verzerrend auf die Interpretation der Sachlage auswirken kann. Fehlverhalten kann dann leichter als berufsbedingte Notwendigkeit eingeordnet werden.

In die gleiche Kerbe schlägt die Problematik der erhöhten Glaubwürdigkeit von Polizist:innen vor Gericht. Sie gilt als besonders hoch, da die Beamt:innen als „Berufszeug:innen“ entsprechend geschult sind und ihnen zumeist Neutralität und Interessenlosigkeit zugeschrieben wird. Dass dem allerdings gerade nicht so ist, zeigen Untersuchungen, die bei Polizist:innen eine ebenso hohe Anfälligkeit für „Memory biases“ (also eine verzerrte Erinnerung an Ereignisse beruhend auf einer Interpretation vor dem Horizont eigener persönlicher, auch unbewusster Einstellungen). Weiter kann ihre Aussage durch den Druck von Vorgesetzten oder Kolleg:innen oder auch die erneute Akteneinsicht kurz vor der Verhandlung verfälscht werden.


Daran wird deutlich, dass die Problematik rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung sich in der Tat allein noch lange nicht erschöpft. Insbesondere vonseiten der Opfer stellt die desillusionierende Erfahrung, den Kampf für die eigene Gerechtigkeit allein oder nach eigenem Empfinden sogar gegen jenes staatliche Organ zu kämpfen, das dem Gut der Gerechtigkeit eigentlich im Besonderen verpflichtet sein sollte, eine manchmal noch belastendere Erfahrung dar, als der Übergriff selbst.


Gleichzeitig bedeutet das auch, dass die Verantwortung nicht bei der Polizei allein endet, sondern die Justiz ebenso in der Pflicht ist, die bei ihr bestehenden Schwächen in diesen Konstellationen anzuerkennen und zielgerichtet zu beheben.


Dies ist ein Gastbeitrag von Veris Advocacy. Veris ist eine fächerübergreifende Studierenden-Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, über neutrale Research-Arbeit, politische Mediation und gesellschaftliche Aufklärung Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stärken. Ihr erstes Fokusgebiet ist das Thema „Innere Sicherheit und Polizei in Deutschland“. Mehr Infos und eine Mitgliedschaftsbewerbung findest du unter https://veris.legal/.

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