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Sprache ist politisch!

Bis heute ist das Wort "Rasse" in unserem Grundgesetz verankert. Manche sehen darin eine Subtilität oder eine historische Begebenheit. Doch dabei unterschätzen sie die Macht der Sprache.


Von Noemí Harth

Graffito at the harbour of Heraklion, Crete © Wolfgang Bayer

Die Streitfrage, ob man das Wort „Rasse“ aus unserem Verfassungstext streichen sollte oder nicht, ist im Zuge der jüngsten Ereignisse rassistischer Polizeigewalt in den USA, und der dadurch in den Fokus gerückten BlackLivesMatter-Protestbewegung, auch bei uns in Deutschland wieder aufgeflammt.

Dass es keine unterschiedlichen menschlichen Rassen gibt, ist ein Fakt, den man im 21. Jahrhundert nicht mehr auf der Grundlage menschenverachtender „Rassetheorien“ leugnen kann. Zum Glück. Wenn überhaupt, können wir davon sprechen, dass es eine menschliche Rasse gibt, der wir alle angehören.

Eine Vielzahl wichtiger juristischer Texte suggeriert aber genau das Gegenteil, allen voran unsere Verfassung. Liest man Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes, heißt es dort: „Niemand darf wegen (…) seiner Rasse (…) benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Auch die Mehrzahl der deutschen Landesverfassungen sowie die EU-Grundrechte-Charta und die Europäische Menschenrechtskonvention bedienen sich dieses Wortes bei der Formulierung des Diskriminierungsverbotes.

Hieran hat sich nun der eingangs beschriebene Streit entfacht, wie mit dem Wort zu verfahren sei. Dabei haben sich im Wesentlichen drei Meinungsströmungen herausgebildet: Das Wort ersatzlos zu streichen, es genauso zu belassen oder die gesamte Formulierung zu ändern.

Recht schnell war man sich darüber einig, dass der Lösungsvorschlag einer ersatzlosen Streichung nicht zielführend sein würde: Die intendierte Schutzfunktion dieses umstrittenen Begriffs würde dadurch ausgehebelt werden. Diskriminierende Handlungen, die in Folge rassistischer Überzeugungen begangen würden, wären dann nicht mehr juristisch greifbar. Dabei geht es doch gerade darum, ein Mehr an (juristischen) Mitteln zu entwickeln, um Rassismus als Staat und Gesellschaft effektiv die Stirn bieten zu können.

Für die Beibehaltung der aktuellen Formulierung wird eine Vielzahl von Argumenten angeführt, allen voran der Appell, man müsse die Verfassung als historisches Dokument im Lichte seiner Entstehungsgeschichte betrachten und lesen. Dies hat zunächst auch seine Berechtigung, schließlich wurde unser Grundgesetz 1949 als Antwort auf das menschenverachtende nationalsozialistische Regime geschaffen. Man wollte fortan verhindern, dass Menschen aufgrund ihrer Einteilung in prädeterminierte „Kategorien“ verfolgt und getötet werden.

Doch auch wenn der Begriff „Rasse“ damals mit den besten Absichten Eingang in unseren Verfassungstext fand, ist dies kein Grund, Änderungsvorschläge ohne Weiteres abzuwinken. Ganz im Gegenteil: Verfassungen sind nicht unwiderruflich in Stein gemeißelt, sondern vielmehr dem Wertungswandel bezüglich wichtiger gesellschaftlicher Themen anzupassen, um so das aktuelle Verständnis unserer Wertvorstellungen und Leitbilder zu spiegeln.

Dies gilt auch für die rasant voranschreitende Rassismusdebatte. Die irrige Annahme, es gebe menschliche Rassen, ist ein soziales Konstrukt unterdrückender Strukturen und längst überholt. Mehr noch, wir haben uns über die Jahre fortentwickelt zu einer offeneren und inklusiveren Gesellschaft. Diese Errungenschaft muss sich auch sprachlich in unserem Verfassungstext widerspiegeln.

Dass „Rasse“ dennoch weiterhin im Grundgesetz verbleiben könne, wird auch damit begründet, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde es verbiete, die Existenz von menschlichen Rassen in diese Formulierung hineinzulesen. Mit anderen Worten: In Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stehe zwar, dass niemand wegen seiner „Rasse“ diskriminiert werden dürfe, gleichzeitig sei es aber verboten, hineinzuinterpretieren, es gebe diese „Rasse“.

Was für Jurist*innen noch verständlich sein mag, birgt jedenfalls für Laien das Potenzial der Verwirrung. Für Verwirrung und Unverständnis zu sorgen, kann aber keinesfalls der Anspruch eines Verfassungstexts sein, der sich nicht ausschließlich an juristisches Personal richtet, sondern an alle Staatsbürger*innen.

Ferner wird angebracht, es handele sich um einen Rechtsbegriff, den viele wichtige internationale Verträge und Abkommen zum Schutz der Menschenrechte verwenden würden. Er sei mithin international, aber auch interdisziplinär etabliert und anerkannt.

Selbst wenn dies der Fall ist, wird ignoriert, dass der Begriff aus einer rassistischen Ideologie stammt und sich gerade deshalb etablieren konnte, weil institutionelle und strukturelle rassistische Rahmenbedingungen bestanden und auch heute noch bestehen.

Schließlich machen sich Stimmen laut, die alternative Formulierungen für das Verbot rassistischer Diskriminierung fordern. Unter ihnen finden sich prominente Beispiele wie Robert Habeck, Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Aminata Touré, Vizelandtagspräsidentin Schleswig-Holsteins. Touré betonte in einer kurzen TV-Debatte vom ZDF, dass „Rasse“ und „rassistisch“ zwei nicht gleichzusetzende Wörter seien und man durchaus über eine Formulierung nachdenken könne, die den Beisatz „rassistisch“ enthalte.

In diese Richtung zielt auch Habeck: Sein Formulierungsvorschlag lautet, niemand solle wegen rassistischer Zuschreibung diskriminiert werden. An dieser Stelle könnte man auch über Alternativen nachdenken wie rassistische Überzeugungen, Vorstellungen etc.

Worte sind mächtig - in ihnen offenbaren sich unsere Denkmuster, oder wie Madeleine Gueye im Online-Magazin ROSAMAG erklärt: „Sprache ist immer auch politisch, da sie zwischenmenschliche Beziehungen definiert und daraus resultierende Machtverhältnisse festlegt. (…) [B]ewusste Sprache ist ein Akt von Widerstand gegen unterdrückende Strukturen.“

Wollen wir diese Denkmuster und den strukturellen Rassismus in Deutschland dekonstruieren und verlernen, müssen wir auf allen Ebenen - ganz besonders in Verfassungstexten - für passende Formulierungen sorgen.

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