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Triage: Recht oder Ethik? Recht und Ethik!

Es sind die Bilder aus den Krankenhausfluren in weiten Teilen Italiens, Spaniens und Frankreichs, die unseren Eindruck von der Corona-Pandemie geprägt haben. Viele Menschen sind sehr schwer an Covid-19 erkrankt und bedürfen einer intensivmedizinischen Behandlung zum Überleben. Aber mal Angenommen, es steht nur noch ein Beatmungsgerät zur Verfügung, doch mindestens zwei Patient*innen müssen dringend künstlich beatmet werden - wie müssten sich die Ärzte und Ärztinnen bei einem solchen Szenario in Deutschland entscheiden? Können sie sich dabei strafbar machen, wenn ein Patient infolge der Nichtbehandlung verstirbt? Ein rechtlicher sowie ethischer Blick auf die Triage.


von Rena Geis

© UN Photo / Evan Schneider.

Wer darf bei einer Ressourcenknappheit überleben und wer nicht? Diesen Entscheidungsprozess nennt man Triage (französisch für Sichtung oder Sortierung). Das heißt, dass das zuständige medizinische Fachpersonal sich entscheiden muss, wen es bei Ressourcenknappheit akut-/intensivmedizinisch behandeln kann und wen nicht. Die Triage kann also über Leben und Tod entscheiden.

Gibt es eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für diese Entscheidung?

Eine spezielle gesetzliche Grundlage, nach welcher das medizinische Personal vorgehen soll, gibt es nicht. Wie auch? Jeder Patient zeigt - wenn auch nur minimal - ein anderes Krankheitsbild und ist ein Einzelfall. Einzelfallgesetze sind jedoch verboten, denn Gesetze dürfen nur eine Anordnung zur Regelung einer unbestimmten Vielzahl von Fällen sein. Um diese Lücke zu schließen, haben sieben intensivmedizinische Fachverbände Leitlinien veröffentlicht, die dem medizinischen Personal in eben diesem Entscheidungsprozess helfen sollen. Sie haben allerdings keine Rechtsqualität, da sie nur Leitlinien und keine Gesetze sind.

Welche Kriterien dürfen die Ärzt*innen verwenden?

Bei dem Corona-Notstand im Elsass wurde, wer über 75 Jahre alt war, nicht mehr intubiert.

Können wir in Deutschland auch einfach die Plätze nach dem Alter der Patient*innen vergeben? Nein! Allein das Kriterium der – statistisch gesehen - restlichen Lebenszeit ist verfassungswidrig! Laut Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes genießt die Menschenwürde absoluten Höchstwert, es darf niemals eine Abwägung von Leben gegen Leben erfolgen.

Aus den Leitlinien wird ersichtlich, dass in Deutschland vielmehr eine Priorisierung anhand des Kriteriums der klinischen Erfolgsaussicht durchzuführen ist. Es soll also derjenige Patient mit der höheren Überlebenswahrscheinlichkeit, beziehungsweise mit der besseren Gesamtprognose (intensiv-) medizinisch behandelt werden und derjenige, der keine, beziehungsweise nur eine sehr geringe Erfolgsaussicht hat, gar nicht mehr. Dieser wird in seinem Sterbeprozess nur noch palliativ behandelt. Die Priorisierung erfolgt also nicht in der Absicht, Menschen oder Menschenleben zu bewerten, sie passiert aufgrund der Verpflichtung mit vorhandenen Ressourcen möglichst viele Menschen zu retten und zu versorgen.

Wie erfolgt nun die Priorisierung im Krankenhaus bei Ressourcenknappheit?

Alle Patient*innen im Krankenhaus – und zwar aus allen Stationen - müssen bei einer Gesamtbetrachtung mit einbezogen werden. Aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes ist es nicht vertretbar, nur innerhalb der Gruppe der an Covid-19 Erkrankten Vergleiche zu ziehen. Die Entscheidungsfindung findet über das Mehraugenprinzip statt. Wenn die intensivmedizinische Notwendigkeit abgeklärt wurde, muss die klinische Erfolgsaussicht eingeschätzt werden. Ist der Patient mit der intensivmedizinischen Therapie einverstanden (viele lehnen diese jedoch in einer Patientenverfügung ab), muss bei einem Engpass zusätzlich eine Priorisierung nach Erfolgsaussichten und Gesamtprognose zwischen allen Patient*innen auf allen Stationen durchgeführt werden.

Können sich Arzt oder Ärztin strafbar machen, wenn sie nur einen der beiden Patienten behandeln?

Grundsätzlich schließt der Behandelnde mit dem Patienten einen Behandlungsvertrag. Durch diesen kommt es zur ärztlichen Garantenstellung (auch „Garantenpflicht“). Es handelt sich um eine Pflicht im Strafrecht dafür einzustehen, dass ein bestimmter strafrechtlicher Erfolg nicht eintritt. Arzt und Ärztin werden dadurch verpflichtet zu handeln und somit einen Schaden vom Patienten abzuhalten. Ausnahme: Der Patient hat durch seine Patientenverfügung oder den wirklichen oder mutmaßlichen Willen eine Behandlung abgelehnt oder sie ist erst gar nicht medizinisch indiziert.

Man kann also sagen: Bei einer Nichtdurchführung einer Behandlung liegt eine Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen vor (Nichtvornahme einer, in der konkreten Situation rechtlich geforderten und damit erforderlichen Tätigkeit). Wenn also der Patient stirbt, ist das ein Tötungsdelikt durch Unterlassen, im Falle einer Gesundheitsschädigung ein Körperverletzungsdelikt. Strafbar ist das Unterlassen aber nur, wenn es zuvor eine Möglichkeit zur Behandlung gab. Besteht diese Möglichkeit jedoch nicht, macht der Behandelnde sich nicht strafbar, da seine Tat nicht als rechtswidrig angesehen wird.

Was bedeutet dies nun für die Triage? Hier „steht der Arzt vor zwei Rettungspflichten. Er muss Patient A und er muss Patient B retten. Er kann nur einen von beiden retten. In diesem Fall sprechen wir von einer sogenannten ‚Kollision von Pflichten‘, die dazu führt, dass der Arzt, wenn er nur einen dieser beiden Pflichten erfüllt und die andere nicht, dann nicht strafbar ist. Wenn er ihn aber nicht retten konnte, macht er sich natürlich nicht strafbar, weil er die andere Pflicht erfüllt hat. Das nennen wir dann ‚rechtfertigende Pflichtenkollision`", so Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig. Ärzte machen sich also nicht strafbar, weil es unmöglich ist, beiden Pflichten nachzukommen – dies kann auch nicht von einem Arzt erwartet werden.

Gibt es Kritikpunkte an den Leitlinien der Fachverbände?

Ja! Unumstritten sind diese Leitlinien nicht.

Bei der Triage zeigt sich insbesondere ein Wertungswiderspruch zwischen den Leitlinien und der Strafrechtslehre: Bei der Priorisierung sollen alle Patienten auf allen Stationen mit einbezogen werden, also nicht nur die Covid-19 Patienten. Nach den Leitlinien ist es den Behandelnden gestattet, das Beatmungsgerät von einem bereits intensivmedizinisch behandelten Patienten abzuschalten, wenn ein neuer Patient mit einer besseren Erfolgsaussicht hinzukommt und dieses benötigt. Falls durch das Abschalten der erste Patient dann stirbt, rechtfertigen die Leitlinien die Vornahme des Abschaltens mit den besseren Erfolgsaussicht des anderen. Im Strafrecht dagegen kann die bessere Erfolgsaussicht aber nicht das Ausschalten rechtfertigen. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um ein Unterlassen, sondern ein aktives Tun, was strengeren Regeln unterliegt. Deswegen gerät dann der Behandelnde durch das Abschalten in den Bereich der Strafbarkeit, wenn der Patient deshalb stirbt. Somit kann er für Totschlag nach § 212 bestraft werden, einem Tätigkeits- und eben keinem Unterlassungsdelikt . Dieser Wertungswiderspruch zwischen Leitlinie und dem Strafrecht muss dringend neu geregelt werden, eventuell sogar durch Gesetz.

Des Weiteren kritisiert die Grünen-Sprecherin für Behindertenpolitik Corinna Rüffer, dass bei Einhaltung der Empfehlungen der Fachgesellschaften viele behinderte Menschen so gut wie keine Chance auf eine lebenserhaltende Behandlung hätten. „Sie landen da weit hinten, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie mithilfe einer Intensivbehandlung wieder gesund werden könnten“.

Zusammenfassend also: Leider könnte es auch bei einem erneuten Anstieg der Corona-Fälle in Deutschland traurige Realität werden, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen gelangt und die Leitlinien tatsächlich Anwendung finden. Das größte Problem an den Leitlinien besteht darin, dass eben Mediziner*innen ihre Maßnahmen anpassen und bei einem Engpass die Beatmungsgeräte anderer Patient*innen abschalten können (und sich gegebenenfalls dabei strafbar machen). Wenn Ärztinnen und Ärzte in der Corona- Krise wirklich derartige Entscheidungen treffen müssten, bliebe für sie nur zu hoffen, dass die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte ihre tragisches Dilemma anerkennen würden. Juristisch ist das aber schwer vorherzusehen.


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