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Das Unrecht der „eheähnlichen Lebensgemeinschaft“

In der eheähnlichen Lebensgemeinschaft wird das Vermögen des Partners auf Sozialleistungen angerechnet – ganz wie es bei Eheleuten der Fall ist. Doch entspricht das der modernen Lebensrealität?


von Luisa Tregner


© Konstantina Stefou

Die eheähnliche Lebensgemeinschaft beschreibt das Zusammenleben zweier Personen ähnlich einer Ehe, jedoch mit dem Unterschied der fehlenden Heirat. Somit sind die Rechte und Pflichten einer Ehe nicht ohne Weiteres auf diese Gemeinschaft anwendbar. Die eheähnliche Lebensgemeinschaft, manchmal auch „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ genannt, wird die meisten Liebesbeziehungen der heutigen Zeit betreffen, die (noch) nicht in einer Ehe leben. Aktuell befinden sich 60 Prozent der Deutschen in einer festen Beziehung, die wahrscheinlich zurzeit eine eheähnliche Lebensgemeinschaft ist oder irgendwann mal eine solche darstellte. So ist es umso verwunderlicher, dass viele Rechtsgebiete unverheiratete Paare entweder missachten oder realitätsfremd behandeln.


Ein schockierendes Beispiel begegnete mir dazu erst kürzlich: In einem Telefonat mit einer Schulfreundin erzählte sie mir, dass sie seit vielen Monaten eine schwere Erkrankung hat. Daher ist sie zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage auf Arbeitslosengeld II angewiesen, die Grundsicherungsleistung für erwerbsfähige, hilfsbedürftige Personen. Nun lebt sie seit über einem Jahr mit ihrem Partner zusammen in einer Wohnung. Dieser kann ihr dadurch auch eine Stütze bei etwaigen Problemen im Alltag sein. Das Zusammenleben führt allerdings dazu, dass das Einkommen und Vermögen ihres Freundes mit einberechnet wird. Deswegen erhält sie keinerlei Arbeitslosengeld II mehr. Doch wie kommt es dazu?


Die Bedeutung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft


Im Sozialrecht wird der Wert der eheähnlichen Lebensgemeinschaft als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft besonders hervorgehoben. Die Beteiligten leben in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Definiert wird die Gemeinschaft auch über die Ausschließlichkeit der Beziehung - also das Fehlen einer vergleichbaren Lebensgemeinschaft daneben. Unberücksichtigt bleiben somit nicht-monogame Beziehungen. Der wechselseitige Wille zur Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft wird vermutet, wenn die Partner:innen beispielsweise ein Kind haben, oder – wie in diesem Fall - länger als ein Jahr zusammenleben. Natürlich wäre es möglich, diese Vermutung zu widerlegen, aber das ist an sehr hohe Anforderungen geknüpft. Dabei scheint es immer noch vorzukommen, dass mittels Sichtung der Wohnung das Vorliegen eines gemeinsamen Kühlschranks und Betts überprüft wird, obwohl das Bundesverfassungsgericht schon 1992 klarstellte, dass die eheähnliche Gemeinschaft „über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen“ muss. Intimitäten des Paares müssen unberücksichtigt bleiben. Die Zulässigkeit dieser Überprüfung scheitert an der Erforderlichkeit und aufgrund der hier betroffenen Intimsphäre. Sobald eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt, rechnet das Amt Einnahmen, Ausgaben und Vermögenswerte des Paars zusammen und die Höhe der Sozialleistung wird entsprechend gemindert.


Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass die hilfsbedürftige Person im Sinne einer Bedarfsgemeinschaft durch die Beziehung mitversorgt werde. Dem Leitsatz eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1984 ist zu entnehmen: „Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, dass im gemeinsamen Haushalt lebende Eheleute in einer anderweit nicht ausgeglichenen Weise gegenüber eheähnlichen Gemeinschaften benachteiligt werden, weil den Eheleuten, auch wenn beide anspruchsberechtigt sind, nur ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zusteht.“ Es soll demnach verhindert werden, dass nicht verheiratete Paare gegenüber Ehepaaren bevorzugt behandelt werden, da sich bei Ehepaaren die Höhe der Sozialleistung mindert. Doch im Gegensatz zu damals ist ein entscheidender Grund für ein gemeinsames Haushalten des Paares kaum noch anwendbar: Beziehungen sind heutzutage viel weniger darauf ausgelegt, dem Modell „Alleinverdiener plus Hausfrau“ zu entsprechen. Generell ist es in vielen nichtehelichen Beziehungen, insbesondere in denen, die noch nicht von langer Dauer sind, doch gerade äußerst üblich geworden, finanzielle Belange größtenteils getrennt handzuhaben. Selbst bei einem über ein oder zwei Jahre lang zusammenwohnenden Paar scheint es doch eher unüblich, Einkommen und Vermögen zu teilen. Es entspricht hier also nicht der Lebensrealität, davon auszugehen, dass der:die Partner:in wie in einer Ehe den Unterhalt für die andere Person mitbestreitet. So will auch meine Schulfreundin nicht, dass ihr Partner auch noch finanziell für sie sorgen muss.


Der Vergleich mit der Ehe hinkt


In dieser Hinsicht wird die eheähnliche Lebensgemeinschaft mithin wie eine Ehe behandelt. Jedoch wird sie in vielen anderen Bereichen gar nicht berücksichtigt. Falls eine Person beispielsweise an ihrer Hilfsbedürftigkeit auslösenden Erkrankung sterben sollte, so durfte der:die Partner:in bisher zwar finanziell für diese aufkommen, bekommt aber ohne ein Testament oder andere Verfügung keinen Cent vererbt. Die nichteheliche Partnerschaft wird in der gesetzlichen Erbfolge im Gegensatz zur Ehe demnach nicht beachtet. Ausnahmen bestehen nach der Rechtsprechung lediglich bei der Anwendung von § 1969 BGB („Dreißigster“) und § 563 BGB: Die überlebende Person kann von den Erbenden 30 Tage lang nach dem Erbfall Unterhaltszahlungen verlangen sowie das Mietverhältnis fortsetzen, wenn das Paar zusammen in einer Wohnung gewohnt hat, die den Mittelpunkt der gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsführung darstellte.


Frau Prof. Dr. Marina Wellenhofer, Professorin für Zivilrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Familienrechtsexpertin ergänzt hierzu: „Im Erbrecht stellt sich das Problem, dass ein gesetzliches Erbrecht des Lebensgefährten in Konkurrenz zum Erbrecht von gegebenenfalls auch vorhandenen Ehegatten sowie von Abkömmlingen aus anderen Beziehungen treten würde. Kinder würden dann schon in Panik geraten, wenn Mutter oder Vater auf ihre alten Tage mit einem neuen Partner zusammenziehen würden. Sinnvoll wäre aber ein gesetzliches „Auffangerbrecht“, wie es in Österreich in § 748 Abs. 1 ABGB für den Fall des unverheirateten Erblassers ohne gesetzliche Erben zu Gunsten des Lebensgefährten nach dreijähriger häuslicher Gemeinschaft geregelt ist. Damit hätte man eine sinnvolle Eintrittsschwelle und das Konkurrenzproblem mit anderen vorrangigen Erben entfiele.“


Doch auch in anderen Rechtsgebieten als dem Erbrecht wird die „nichteheliche Lebensgemeinschaft“ ignoriert. Ein unverheiratetes Paar kann nicht von einer gemeinsamen Familienversicherung, vom Ehegattensplitting im Steuerrecht, vom gegenseitigen Unterhaltsrecht, von einem einfacheren Sorgerecht für Kinder oder auch von Rechten im Krankenhaus profitieren. Diese Privilegien stehen nur einem Ehepaar zu. Solche besonderen Rechte und Pflichten begegnen dem Ehepaar ebenso bei einer Trennung, welche mit der Scheidung besonders geregelt ist. Eine Scheidung ist mit nicht zu vernachlässigenden Hürden versehen, damit das Institut der Ehe erhalten und der Grundsatz in dieser das Zusammenleben bleibt. Diese Hürden hat ein nichteheliches Paar nicht zu nehmen, sondern kann sich rechtlich einfacher trennen. Gleichzeitig können sie jedoch Leistungen oder Zuwendungen jeder Art, die während des Zusammenlebens erbracht worden sind, nur in Ausnahmefällen voneinander ersetzt verlangen. An dem Vermögenszuwachs des Partners oder der Partnerin haben sie im Gegensatz zur Ehe (Zugewinnausgleich) meist keine Teilhabe.


Das bestehende Unrecht


Vereinfacht gesagt liegt der Grund der Vernachlässigung von eheähnlichen Lebensgemeinschaften in der fehlenden Ehe und deren besonderer Rechte und Pflichten. Dies führt jedoch zu einem Wertungswiderspruch zu der erklärten Regelung im Sozialrecht. Warum wird dieses Argument nicht herangezogen, um beim Arbeitslosengeld eine mögliche Ungleichbehandlung der Ehe gegenüber der eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu rechtfertigen? Wieso wird ausgerechnet im Sozialbereich ausgeblendet, dass die Ehe sonst so viele Privilegien gewährt, die ein unverheiratetes Paar nicht hat?


Historisch kann dies damit begründet werden, dass die „Geburtsstunde“ der eheähnlichen Lebensgemeinschaft im Jahr 1956 gerade in der Berechnung der Arbeitslosenhilfe lag. Die Wertung des Sozialrechts auf andere Rechtsgebiete zu übertragen, unterließ der Gesetzgeber und die Rechtsprechung – aus teils guten Gründen. Frau Prof. Dr. Wellenhofer führt als Grund hierfür an, dass „es einem Teil der Betroffenen wirklich wichtig ist, keinen rechtlichen Bindungen unterworfen zu sein. Das muss auch der Gesetzgeber respektieren. Hinzu kommt, dass vieles durch Vertrag oder Vollmacht zwischen den Partnern geregelt werden kann, sofern dies gewünscht ist.“


Auch das Bundesverfassungsgericht erkannte 1992 einige Schlechterstellungen der eheähnlichen Gemeinschaft an, beispielsweise: „Bei [ihnen] wirken sich ferner die nachteiligen Folgen hinsichtlich der Kranken- und Rentenversicherung wesentlich stärker aus als bei Ehen.“ Dabei verwies es jedoch nur auf Abhilfe durch eine gebotene Neuregelung.

Was bleibt, ist eine konträre rechtliche Bewertung der „nichtehelichen Lebensgemeinschaft“, die beide in ihren Extremen nicht unbedingt der Lebenswirklichkeit entsprechen: Die eheähnliche Lebensgemeinschaft entspricht der Ehe nicht, aber sie ist der Ehe auch nicht vollkommen fern, sondern mit ihr in Teilen vergleichbar. Sie ist eine eigene Art der Gemeinschaft, in der häufig schon rein faktisch und nicht erst vertraglich Rechte und Pflichten übernommen werden. Also sollte sie auch als solche behandelt werden – nicht „als Ehe“ und ebenso wenig als „Nichts“.


Dringenden Regelungsbedarf sieht Frau Prof. Dr. Wellenhofer zudem im gesetzlichen Unterhaltsrecht „zugunsten desjenigen Partners, der im Vertrauen auf den Fortbestand der Partnerschaft einseitig seine Erwerbstätigkeit eingeschränkt und deshalb Nachteile in seiner sozialen Biografie hingenommen hat. Das betrifft die Fälle der Betreuung der gemeinsamen Kinder, der Pflege des Partners oder von dessen Angehörigen und der unentgeltlichen Tätigkeit für den Partner.“


Meine Schulfreundin versuchte schlussendlich auch Sozialgeld zu beantragen, welches nicht erwerbsfähige Personen erhalten, die mit mindestens einer erwerbsfähigen Person in einer Bedarfsgemeinschaft – wie einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft – leben. Als nicht erwerbsfähig gilt, wer wegen einer Krankheit mehr als sechs Monate lang nicht länger als drei Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann. Ein Gutachter stufte sie trotz ihrer schweren Erkrankung nur genau sechs Monate erwerbsunfähig. Mithin kann sie kein Sozialgeld beantragen. Man entschuldigte sich bei ihr mit der Ausrede, dass man junge Leute nicht gerne länger erwerbsunfähig einstufe und sie leider in eine Versorgungslücke falle.


Ein Ausblick


Es bedarf einer Angleichung an ein realistisches Bild einer nichtehelichen Beziehung. Dabei sollten auch moderne Konzepte berücksichtigt werden. „Als Alternativmodell kommt […] eine registrierte Partnerschaft in Betracht, wie sie in Frankreich (pacte civil de solidarité), den Niederlanden oder Belgien existiert und sich dort großer Beliebtheit erfreut. […] Der Registrierungsakt beim Standesamt oder Notar wäre ein klarer rechtlicher Anknüpfungspunkt. Bislang hatten konservative Parteien das freilich abgelehnt, weil sie damit das Institut der Ehe in Gefahr sahen“, erklärt Frau Prof. Dr. Wellenhofer.


Die Bundesregierung hatte bereits im Koalitionsvertrag Neuerungen angekündigt: „Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.“ Damit könnte sowohl für polyamoröse Beziehungen als auch für „Wahlverwandtschaften“ oder andere enge Beziehungen, die nicht partnerschaftlicher oder verwandtschaftlicher Natur sind – beispielswiese enge Freundesbeziehungen – ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden. Dafür lasse sich ein modulares System mit unterschiedlichen Stufen bestimmter Rechte und Pflichten schaffen. Kritiker:innen sehen keinen Bedarf, da es bereits jetzt die Möglichkeit gebe, alles vertraglich zu regeln. Zudem bestehe sonst die Gefahr einer verbotenen Vielehe. Es ist der Versuch eines modernen Gemeinschaftsbegriffs, der noch in den Kinderschuhen steckt. Das geplante „Bürgergeld“ als Reform des Hartz VI bringt hinsichtlich dieses Themas scheinbar keine Neuerungen. Der Wunsch, das bestehende Unrecht der eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu beseitigen, bleibt.

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