Unternehmensstrafrecht: Sollten deutsche Unternehmen stärker sanktioniert werden?
Die Diskussion um ein Unternehmensstrafrecht hat in den letzten Jahren Aufwind
erhalten. Beigetragen haben hierzu mehrere Korruptionsaffären, die Finanzkrise aus
dem Jahr 2008 und der Dieselskandal. Letzterer legte wieder einmal Diskrepanzen im
Vergleich mit den Vereinigten Staaten offen. Während Volkswagen dort mehr als 30
Milliarden Dollar zahlen musste, betrug die Geldbuße hierzulande gerade einmal eine
Milliarde Euro. Ein Kommentar von Niklas Blatz

Geltende Rechtslage
Der aktuelle Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Justiz und
Verbraucherschutz (BMJV) will Unternehmen mit dem „Gesetz zur Stärkung der
Integrität der Wirtschaft“ stärker für kriminelle Machenschaften in die Verantwortung
nehmen. Während viele andere Länder in den letzten Jahren moderne
Verbandsstrafgesetze eingeführt haben, kann nach deutschem Recht nur eine
Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gegen einen Verband
verhängt werden, wenn eine Leitungsperson eine Straftat oder eine
Ordnungswidrigkeit begangen hat. Das geltende Recht bedingt zudem enorme
Ungleichbehandlungen. Der im OWiG bestehende Sanktionsrahmen knüpft, anders
als die Menschen treffende Geldstrafe, nicht an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
an, sondern beträgt unabhängig von der Verbandsgröße nach § 30 Abs. 2 OWiG zehn
Millionen Euro. Ein derart gedeckeltes Bußgeld schreckt große Unternehmen aber
keineswegs ab, und benachteiligt kleinere Unternehmen unverhältnismäßig stark. Bei
VW betrug die Strafzahlung sogar nur fünf Millionen Euro. Die restlichen 995 Millionen
Euro waren eine Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile, das heißt es wurden lediglich
die aufgrund der Diesel-Manipulationen ersparten Aufwendungen in Ansatz gebracht.
Häufig kritisiert wird zudem, dass es im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt, ein
Verfahren gegen einen Verband einzuleiten. In der Praxis führt dies zu einer sehr
ungleichen Verfolgung. 18 von 49 auf Wirtschaftsstraftaten spezialisierte
Staatsanwaltschaften geben an, im vergangenen Jahr kein einziges
Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Unternehmen geführt zu haben. Internationale
Institutionen wie die OECD-Arbeitsgruppe für Auslandsbestechung haben
Deutschland deshalb gemahnt, Verbände effektiver zu sanktionieren.
Der aktuelle Gesetzesentwurf soll daher mit der Schaffung eines eigenen
Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) die Sanktionierung von Verbänden auf eine
eigenständige gesetzliche Grundlage stellen. Das BMJV sieht das Gesetz als Gewinn
für die große Mehrheit der Unternehmen, die sich rechtstreu verhalten. Einzelne
Unternehmen, die das nicht tun, verschaffen sich so auf Kosten der anderen Vorteile.
Zudem schädigen sie den Ruf der Wirtschaft insgesamt und schwächen zugleich das
Vertrauen in den Rechtsstaat, wenn darauf keine angemessene Reaktion folgt. Um
künftig große Unternehmen spürbarer zu treffen, sieht der Entwurf für Unternehmen
mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz eine umsatzbezogene Sanktion von bis zu
zehn Prozent vor. Die Abkehr vom Opportunitätsprinzip soll für eine einheitliche
Rechtsanwendung sorgen, Staatsanwälte wären künftig verpflichtet ein
Sanktionsverfahren einzuleiten, wenn der Verdacht besteht, dass aus einem
Unternehmen heraus eine Straftat begangen wurde. Für Unternehmen, die
Compliance-Strukturen nachweisen oder verbandsinterne Untersuchungen einleiten,
die zur Aufklärung des Verfahrens beitragen, soll es gleichzeitig Sanktionsmilderungen
geben.
Kritische Stimmen
Der Gesetzesentwurf stößt jedoch auch auf heftige Kritik. Aus zahlreichen Verbänden
heißt es, man dürfe Unternehmen nicht unter Generalverdacht stellen. Der Deutsche
Anwaltverein sieht das jetzige Sanktionssystem - trotz spektakulärer Einzelfälle - als
ausreichend an. Unternehmen sollten zudem nicht verpflichtet werden, an der eigenen
Verfolgung mitzuwirken. In Aussicht gestellte Strafmilderungen im Falle interner
Untersuchungen könnten stattdessen unzulässigen Druck ausüben und zum Verzicht
auf Verfahrensrechte führen. Deshalb sollten Ermittlungsbehörden von vornherein
keinen Zugriff auf Erkenntnisse interner Untersuchungen haben.
Besonders engagiert bekämpft Peter Biesenbach, Justizminister von Nordrhein-
Westfalen, das Vorhaben. Das Gesetz würde aufgrund steigender bürokratischer
Anforderungen den Mittelstand und nicht multinationale Konzerne treffen. Zugleich
zwinge es die Strafverfolgungsbehörden zur Einleitung zahlreicher dysfunktionaler
Verfahren. Auch der Deutsche Richterbund kritisiert die vorgesehene Pflicht zur
Ermittlung gegen Verbände. Schon jetzt gebe es jährlich etwa 150 000 Verfahren im
Bereich der Wirtschaftskriminalität und im Steuerstrafrecht. In vielen Verfahren käme
durch die Neuregelung eine Sanktionsprüfung gegen das Unternehmen hinzu, ohne
dass sicher sei, ob dies Aussicht auf Erfolg habe.
Notwendigkeit der Neuregelung
Trotz einzelner berechtigter Kritikpunkte - die Neuregelung der
Unternehmenssanktionierung in einem eigenen Gesetz ist richtig. In Anbetracht des
internationalen Vergleichs wird es Zeit, dass Deutschland sein schwaches
Ordnungswidrigkeitenrecht für Verbände ändert. Man muss Unternehmen nicht unter
Generalverdacht stellen, um zu erkennen, dass die jeweilige Unternehmenskultur
maßgeblich zur Begünstigung oder Verhinderung von Straftaten beiträgt. Jahrelange
Auslandsbestechungen, wie beispielsweise bei Siemens, waren eben nicht das Werk
einzelner Mitarbeiter, sondern das Ergebnis unzureichender interner Aufsicht oder
falscher Anreize, wie etwa Bonuszahlungen für den Erhalt von Aufträgen. Um
Verbände dazu zu bringen, Straftaten ihrer Mitarbeiter zu verhindern, darf sich
kriminelles Verhalten wirtschaftlich nicht lohnen. Das kann allerdings nur gelingen,
wenn dem Verband letztlich eine merkliche Sanktion droht.
Zu begrüßen ist zudem, dass das neue Gesetz endlich einen sicheren Rechtsrahmen
in Bezug auf den Gesamtkomplex „interne Untersuchungen“ vorsieht. Das ist auch für
Unternehmen vorteilhaft, da nun Klarheit herrscht, inwieweit interne Untersuchungen
sanktionsmildernd berücksichtig werden können. Eine Verpflichtung zur Durchführung
von verbandsinternen Untersuchungen ist nicht sinnvoll, aber auch nicht vorgesehen.
Vielmehr schafft die Neuregelung ein effektives Anreizsystem, indem bei umfassender
Kooperation eine Absenkung des Sanktionsrahmens bis um die Hälfte erfolgen kann.
Ob die Abkehr vom Opportunitätsprinzip zu einer erheblichen Mehrarbeit der Behörden
führt, darf ebenfalls bezweifelt werden. Staatsanwaltschaften würden
selbstverständlich nicht jeden geringfügigen Verstoß verfolgen. Stattdessen sieht das
VerSanG zahlreiche Einstellungsgründe vor, die unter anderem die Schwere des
Tatvorwurfs, die Folgen, die das Unternehmen bereits getroffen haben, die Verfolgung
im Ausland oder laufende verbandsinterne Untersuchungen berücksichtigen. In vielen
Fällen wird daher eine sachgerechte, flexible Erledigung des Verfahrens möglich sein.
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren sollte es deshalb nicht mehr um das „ob“ eines
Verbandssanktionengesetzes gehen, sondern lediglich um seine inhaltliche
Ausgestaltung.
Weitere Entwicklung
Denkbar ungünstig fällt jedoch der aktuelle Zeitpunkt der Umsetzung.
Dementsprechend kritisch heißt es aus Unionskreisen, inmitten einer Krisenzeit
brauche die schwer von der Pandemie getroffene deutsche Wirtschaft die
Rückendeckung der Politik. Immerhin erlangte eine Generalablehnung bei der
Abstimmung im Bundesrat vor zwei Wochen nicht die erforderliche Mehrheit.
Stattdessen soll der Gesetzesentwurf überarbeitet werden. Die weitere Entwicklung
bleibt daher abzuwarten.