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Von Ortsverschönerung und künstlerischer Bedeutung

...oder warum wir eine breite gesellschaftliche Ästhetikdebatte brauchen!


von Marius Müller


Habt Ihr bereits einmal daran gedacht euren „Ort“ zu „verschönern“? Also ich war jedenfalls ganz aus dem Häuschen als ich mich mit ganz anderen Absichten vor einigen Monaten dem Jahressteuergesetz (JStG) 2020 und den damit verbundenen Änderungen in der Abgabenordnung (AO) beschäftigt hatte. Fast drei Jahre Promotion zu historischen Wechselwirkungen von Ästhetik, Kunsttheorie und Rechtswissenschaft hatten ihre Spuren hinterlassen. Randbemerkung: Insbesondere (aber nicht ausschließlich) den Vereinsgründern unter euch sind die gemeinnützigen Zwecke der AO sicherlich ein Begriff. Seit der Reform ist auch die besagte „Förderung der Ortsverschönerung“ Bestandteil des Katalogs (§ 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 22 AO). Nach diesen einleitenden Bemerkungen sind wir bereits mitten in einem Thema, das, wie ich finde, nur viel zu selten Aufmerksamkeit findet: nämlich das Thema der Wechselwirkungen von Kunsttheorie und Recht. Welche „Ästhetik“, welcher Kunstbegriff im Recht zur Anwendung gebracht wird hat gesellschaftliche Sprengkraft, im Guten wie im Schlechten. Dafür genügt nur ein Blick in die USA. Auch ein Populist wie Donald Trump hat, man mag sich kaum wundern, das Schöne als Teil seiner ersatzmonarchischen Machtstellung entdeckt: was aus seiner «Executive Order on Promoting Beautiful Federal Civic Architecture» wohl geworden ist? Solch ein Freiraum für Irrtum darf nicht entstehen! Aber dies nur am Rande. Thematisch waren wir ja bereits im Gemeinnützigkeitsrecht – die gedanklichen Schleifen nehmen gleich ein Ende, versprochen.



Photo by Fré Sonneveld on Unsplash

Worum es mir vor diesem Hintergrund geht ist Folgendes: Die soziale Funktion des Ästhetischen sollte 2021 (endlich) zum Gegenstand einer breiteren und auch von jüngeren Menschen geführten Debatte werden. Warum? Weil nicht nur die Freiheit der Kunst von einer verständigen Debatte lebt. Im digitalen Zeitalter sind wir umgeben von ästhetischen Fragen. Das Künstlerische hat dabei die Sphäre des l’art pour l‘art längst verlassen – erinnert ihr euch noch an die Debatte um das Gedicht an einer Außenwand der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin? Statt „Was darf Kunst?“ ging es im Kern doch um die Frage „Was ist Kunst?“. Auch verschiedene Bereiche der Kulturvermittlung sind eng mit ästhetischen Fragen verwoben – Denkmalpflege ist dabei nur ein leider seltener erwähnter Teilbereich.[1] Mit dem Ästhetischen und auch seinen ethischen Implikationen kannte man sich dort aber schon um 1900 besonders gut aus! Mit Blick auf Windräder und Photovoltaikanlagen sind die Fragen zudem wieder aktuell – neben dem Montagne Sainte-Victoire sind Passaus Dachlandschaften nur zwei Beispiele.[2] Ästhetik und Recht gehen hier Hand in Hand. Die Ortsverschönerung i.S.d. JStG 2020 ist also nur ein weiteres Beispiel!


Nun der Blick in die Geschichte:


1907 trat das preußische «Gesetz, gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden» in Kraft. Mit dem Ziel Orts- und Stadtbilder und vor allem (rheinische) Landschaften vor Reklame (oh Dada-Schreck!) zu bewahren, war dieses Gesetz schon die Nummer 2 in einer Reihe gesetzgeberischer Aktivitäten. Eigentumsrechte konnten nach dessen § 2 auch wegen der „künstlerischen Bedeutung“ von Straßen und Plätzen eingeschränkt werden. Maßstab für diese Bedeutungsfrage war der Begriff des Malerischen. Ohne Zweifel war dieses Gesetz der Erfolg engagierter Bürger, die eine Kulturidee durch rechtliche Grundlage sichern konnten. Der spätere Missbrauch so manch einer Idee soll hier nun nicht den Blick auch spannende Zusammenhänge versperren! In der künstlerischen Bedeutungskategorie enthalten war dabei ein Denken, der das „als Kunstwerk verstandene Gemälde zum paradigmatischen Fall des Bildes“ erhob. Als malerisch musste bezeichnet werden, was „auf den Beschauer an sich schon eine Bildwirkung ausüben, ihn zum künstlerischen Schaffen oder Empfinden anregen [kann], ohne dabei selbst Kunstwerk sein zu müssen.“ In seinem Beitrag für die «Mitteilungen der k.k. Zentralkommission für Denkmalpflege» wurde Fortunat von Schubert-Soldern noch deutlicher. Zwischen Vergangenheits- und Gegenwartswert sollte es das ästhetische Potenzial sein, das ein Orts- oder Landschaftsbild als Schutzgegenstand konstituierte:


„Der erstere Vorgang wird immer auf die Vergangenheit zurückgreifen müssen und uns den Begriff des Malerischen auf dem Wege der Kunsttradition vermitteln. Als malerisch bezeichnen wir demnach alles, was an Motiven der Außenwelt in den dauernden Besitz der Kunst, beziehungsweise der Malerei übergegangen, gleichsam zu ihrem Inventar und Rüstzeug geworden ist.


Als Schüler Alois Riegls ließ von Schubert-Soldern auch den Modernitätsanspruch eines Kulturrechts nicht unerwähnt. Das Malerische sollte nur im Kontext einer auf Malerei gerichteten Kunstrezeption künstlerische Bedeutung stiften können:


Dabei ist es natürlich klar, daß malerische Werte durch Mangel an Pflege mit der Zeit ausscheiden und durch neu hinzukommende ersetzt werden und daß jene Motive, die die Neuerer in unser modernes Kunstleben einzuführen suchen, noch nicht als bleibende Werte gelten können, weil sie nicht an die geltende Tradition anknüpfen und dementsprechend keine Garantie für die Dauerhaftigkeit gewähren.“


Wo stehen wir heute, nachdem die „Neueren“ nun gar nicht mehr so neu sind und wo an die Stelle des Landschaftsbildes im Salon, das Selfie vor einem beeindruckenden Architekturpanorama oder einer eindrucksvollen Landschaft auf Instagram stehen? Vielleicht sind die Unterschiede zwischen damals und heute weniger groß als gedacht. Aber es ist, wie Schubert-Soldern konstatierte: „malerische Werte“ verschwinden, wenn sie nicht vermittelt bzw. hinterfragt werden. Ästhetische Realität und reale Wirklichkeit müssen in ihrer Beziehung zueinander heute wieder neu hinterfragt, neu verhandelt werden. Hier nun also sollte die Debatte ansetzen! Es folgt zum Schluss noch eine versöhnliche Gewissheit: Auch heute würden Hans Scharouns Pläne für die Neubebauung des Ulmer Münsterplatzes sicherlich nicht zur Umsetzung gelangen können – entscheidende seelische Werte bedürfen dennoch einer zeitgenössischen Selbstvergewisserung! Die Verschönerung unseres Alltags beginnt doch jedenfalls bereits im Kopf, nicht wahr?

[1] Habt ihr Interesse an Kulturpolitik, Kulturerbe und Nachhaltigkeit? ESACH fehlt noch eine juristische Working Group (www.esach.org). [2] Ich danke meiner Kollegin Valentine Molineau hier bei UNIDROIT für die spannende Diskussion zu Windrädern und Cézanne.

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