Zwangsabgaben für den Staatsfunk!?
Ob ihr Tatort-Fans seid oder nicht - zahlen müsst ihr trotzdem.
Über Sinn und Unsinn der deutschen Rundfunkordnung und ein länderübergreifender Blick in andere Systeme.
Von Jonas Schmelzle

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein immer wieder hitzig diskutiertes Thema. Einigen ist die "GEZ-Gebühr" zu hoch, anderen zu niedrig und nicht wenige wollen das Konzept am liebsten ganz abschaffen. Warum aber gibt es öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt? Was nützt er und wo kann man ihn kritisieren? Sind öffentlich-rechtliche Medien „Staatsfunk“?
Grundsätzliches
Seit der Nachkriegszeit gibt es in Deutschland die sogenannte duale Rundfunkordnung, also das gleichzeitige Bestehen von sowohl öffentlich-rechtlichem als auch privatem Rundfunk. Dahinter steht die Grundidee, dass sich die kommerzorientierte Privatmedien und der durch die Gebühren abgesicherte öffentliche Rundfunk inhaltlich ergänzen. In einer Reihe an Urteilen des Bundesverfassungsgerichts hat sich dabei der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herausgebildet, wie wir ihn heute kennen: eine Grundversorgung des Publikums mit hochwertigen Inhalten, die die Meinungsvielfalt in der Bevölkerung widerspiegeln.
Was sagt das Gesetz?
Alle Rundfunkeinrichtungen, insbesondere aber die öffentlich-rechtlichen, unterliegen klaren gesetzlichen Vorgaben bezüglich der Organisation ihrer Berichterstattung. Aber steht das nicht im Widerspruch mit der in Art. 5 Grundgesetz geschützten Rundfunkfreiheit? Haben wir vielleicht sogar eine Art „Staatsfunk“ in Deutschland, dem die gesendeten Inhalte vorgeschrieben werden? Um hier schlauer zu werden, sollte man zunächst einen Blick auf die Gesetzeslage werfen. Da Rundfunkrecht Ländersache ist, findet es sich vor Allem in Landesmediengesetzen. Bezüglich bundesweiter Sendeanstalten (ARD, ZDF, Deutschlandradio) gibt es die sogenannten Rundfunkstaatsverträge zwischen den Ländern. In diesen Gesetzen bzw. Verträgen ist festgelegt, wie eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt aufgebaut sein muss:
Die konkrete Programmgestaltung obliegt dem Intendanten der jeweiligen Sender, also somit Einzelpersonen. Der Intendant wird gewählt und kontrolliert durch den Rundfunkrat und den Verwaltungsrat, in welchem Vertreter aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft bei der Programmgestaltung mitwirken. Sie kommen teils aus der Politik, teils aus gesellschaftlich relevanten Gruppierungen wie Gewerkschaften, Frauenverbänden, Kirchen etc. Grundsätzlich gilt aber: der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich staatsfern zu organisieren. Dies bedeutet, dass die Politik über Inhalte keine Vorgaben machen darf und dass sich die Sender eigenständig durch Gebühren - und eben nicht durch Steuern – finanzieren. Vor diesem Hintergrund wird auch der verfassungsrechtliche Begriff „Rundfunkfreiheit“ interpretiert: Freiheit von staatlicher Einflussnahme bei der Repräsentation des gesellschaftlichen Meinungsspektrums.
Wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Per Gesetz darf es also keinen Staatsfunk geben in Deutschland, stattdessen sind finanzielle und inhaltliche Unabhängigkeit vorgesehen. Wie sieht das aber in der Praxis aus? Es werden immer wieder Vorwürfe laut, dass die Politik de facto sehr wohl Einfluss auf die gesendeten Inhalte ausübe. Auch wenn das Gesetz Staatsferne vorschreibe, werde durch die Hintertür Kontrolle ausgeübt, indem Politiker und ihre Handlanger die Räte besetzen.
Als Beispiel wird hier von Kritikern gerne die „Causa-Brender“ genannt – ein Fall aus dem Jahr 2010, in welchem einem Chefintendanten des ZDF auf Drängen der Politik in den Räten schlichtweg der Vertrag nicht verlängert wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat anlässlich dieses Falles im Jahr 2016 entschieden, dass maximal 1/3 eines Rundfunkrats durch politiknahe Personen besetzt sein darf – bis dahin lag diese Quote noch bei 45%.
Man sieht an diesem Beispiel: Versuche staatlicher Einflussnahme auf den öffentlichen Rundfunk lassen sich nicht leugnen, jedoch bleiben diese nicht ohne Gegenwind.
Sie rechtfertigen aber den kritischen Blick auf unsere Rundfunkeinrichtungen.
So sehen viele die Politik in den öffentlichen Sendern nach wie vor überrepräsentiert, vor allem in den Verwaltungsräten. Diese sind zwar nicht vorwiegend für die Inhalte, sondern eher für technische und finanzielle Belange verantwortlich, haben aber dennoch einen starken inhaltlichen Einfluss auf Programm und Personal innerhalb der Institution. Anders als im Rundfunkrat (bzw. Fernsehrat beim ZDF) sitzen beispielsweise im Verwaltungsrat des ZDF noch immer zu 43 % politische Vertreter aus Bund und Ländern. Will man hier mehr Ausgewogenheit zu erzielen, scheint eine Reduzierung dieser Quote durchaus angebracht.
Auch innerhalb der Vertretung der Politik selbst sehen viele Reformbedarf: beispielsweise sind nicht etwa alle Parteien des Bundestags in den Rundfunkräten vertreten, sondern vorwiegend Regierungsvertreter aus Bund und Ländern. Gleichzeitig fehlen in den Rundfunkräten Vertretungen einiger gesellschaftlich relevanter Gruppen, etwa des Publikums, der Konfessionslosen oder auch der Studenten. Beides führt zu einer verzerrten Darstellung des Meinungsspektrums innerhalb des politischen bzw. gesellschaftlichen Spektrums.
Kritisiert werden auch die hohen Kosten des öffentlichen Rundfunks. Und in der Tat liegt Deutschland im Vergleich mit ähnlich großen Ländern bereits jetzt ganz oben. In diesem Jahr steigt der Beitrag aller Voraussicht nach von 17,50 Euro auf 18,36 € pro Haushalt.
Vor diesem Hintergrund wird vorgebracht, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk „verschlanken“ und auf seinen Grundauftrag zurückbesinnen sollte: Die große Zahl an Sendern und Programmen habe zu hohe Kosten für die Beitragszahler zur Folge, die sich durch die eigentliche Idee dahinter nicht mehr rechtfertigen ließen. Man kann sich daher berechtigterweise die Frage stellen, ob jeder regionale Radiosender vier bis fünf Redaktionen betreiben muss - man denke etwa an den SWR. Sparpotential ist hier durchaus vorhanden und eine Erhöhung des Beitrags wäre nicht notwendigerweise unausweichlich.
Es gibt also berechtigte Kritikpunkte gegenüber unserem Rundfunksystem, die man ernstnehmen sollte. Wie so häufig heutzutage lässt sich aber beobachten, wie Grenzen zwischen berechtigter Reformkritik und überzogenem Verschwörungswahn verschwimmen. Bei der „Recherche“ in entsprechenden Foren werden konkrete Verbesserungsvorschläge schnell weggespült im Strom allgemeiner Entrüstung und der Forderung, den gebührenfinanzierten Rundfunk doch endlich abzuschaffen. Bis hin zur „maoistischen Propagandamaschinerie“ werden wildeste Bezeichnungen gefunden – und das längst nicht nur von AfD-Anhängern. Um sich von derartigen Fantasien abzugrenzen, verbiete sich der Gebrauch von solch radikalen Begriffen wie „Staatsfunk“. Dieser ist per Definition ein vom Staat kontrolliertes Propagandainstrument, wie man sie in Deutschland zu NS-Zeiten vorfand und wie man sie in zahlreichen Diktaturen dieser Welt noch heute vorfinden kann. Unsere duale Rundfunkordnung bildet dazu den Gegenentwurf. Wir sollten es uns darum nicht erlauben, mit feindseligen Termini schludrig umzugehen, sondern lieber konkrete Verbesserungen anstreben!
Und in anderen Ländern?
Um die deutsche Rundfunkordnung besser einordnen zu können lohnt sich auch der Blick auf die Rundfunkordnungen anderer Länder:
Von Staatskritikern hört man häufig, Medien seien zum Beispiel in Russland vertrauenswürdiger als hierzulande. Die wichtigsten russischen Informationsmedien stehen allerdings unter Kontrolle der dortigen Regierung. Diese ist beispielsweise zu 51% Anteilseigner am meistkonsumierten Fernsehsender Pervyj kanal(dt. „erster Kanal“). In der Folge betreiben Leitmedien eine strikt regierungstreue Berichterstattung, die auch vor Fake-News nicht zurückschreckt.
Man kann aber auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen: die Rundfunklandschaft in den USA wird klar dominiert von privaten Sendern und den Kräften des freien Marktes. Es gibt zwar einige öffentliche Rundfunksender, insgesamt spielen diese aber eine untergeordnete Rolle. Diese „Freiheit“ bleibt nicht ohne Folgen für die gesendeten Inhalte: politisch unterschiedlich ausgerichtete Sender, wie zum Beispiel die Fernsehsender FOX News und CNN, liefern sich mitunter regelrechte Faktenkriege, was die ohnehin fortschreitende Spaltung der dortigen Gesellschaft erheblich fördert.
Interessant sind diese Erfahrungen in Bezug auf den wachsenden meinungsbildenden Einfluss des Internets. Inhalte auf Videoplattformen und sozialen Netzwerken sind auch in Deutschland deutlich weniger streng geregelt als die des Rundfunks. Dennoch haben sie durch die Darbietungsform als Tonspur bzw. Video eine vergleichbar emotionalisierende Wirkung auf den Konsumenten, die stärker ist als etwa die von Textnachrichten. Man kann in der Folge unter Plattformnutzern ähnliche Spaltungseffekte wahrnehmen.
Was Rundfunk betrifft, befinden sich die meisten Länder in Europa gewissermaßen zwischen den Systemen. Um beim Pferdebeispiel zu bleiben: „Europa sitzt noch im Sattel“. Jüngere Entwicklungen weisen aber auf Veränderungen hin. Man blicke etwa nach ins Nachbarland Polen: Im Rahmen der Medienreform im Jahr 2015 haben Regierung und Parlament den öffentlichen Rundfunk „an die kurze Leine“ geholt. Unter anderem wechselte man von einer Gebührenfinanzierung ähnlich der in Deutschland zu einer Finanzierung durch Steuergelder, also einer Eingliederung in den Regierungshaushalt. Auch können gemäß der Reform die Chefs der Sendeanstalten nun nur noch von der Regierung ernannt und abberufen werden. Kritik von der EU-Kommission, Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbänden bleibt von Warschau weitgehend ignoriert.
Entwicklungen in Richtung Privatisierung deuten sich unterdessen in Großbritannien an: Die teils privat, teils gebührenfinanzierte britische BBC gilt seit jeher als das Vorbild schlechthin für den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Premierminister Boris Johnson blockierte die BBC bereits während seines Wahlkampfes, indem er zu zahlreichen Debatten nicht erschien. Heute lässt er Pläne verlauten, die Rundfunkgebühr abzuschaffen und die BBC grundlegend zu reformieren.
Die Liste an Ländern in Europa, in welchen der Rundfunk- und Pressefreiheit starke Einschränkungen drohen, lässt sich beliebig fortsetzen. Man denke etwa an das Strache-Video aus Ibiza, in welchem der damalige Chef der österreichischen FPÖ den Verkauf der wichtigsten Zeitung des Landes an russische Oligarchen plante. Dies ist alarmierend und sollte uns wachsam machen gegenüber Forderungen wie denen nach der Abschaffung der "GEZ-Gebühr", auch wenn diese erst einmal nach Entlastung „für den kleinen Mann“ klingt.
Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland haben die Tradition und das Potential, die Gesellschaft aufmerksam für das politische Geschehen zu machen und sie zugleich zu einen. Sie werden diesem Potential aber zurzeit in Teilen nicht gerecht. Grund dafür ist zum einen eine verzerrte Repräsentation der gesellschaftlichen Meinungsverhältnisse innerhalb der Anstalten, zum anderen ein überdimensionaler Apparat an Institutionen, der zu hohe Kosten verursacht.
Betrachtet man die Rundfunksysteme anderer Länder oder den Informationsfluss im Internet, so muss einem klarwerden, dass eine kritische und gleichzeitig ausgewogene Medienlandschaft alles andere als ein Selbstläufer ist. Die Politik sollte daher den Entwurf unseres Rundfunksystems zu schätzen wissen und ihn nicht leichtfertig aufgeben. Stattdessen sind gezielte Reformen notwendig, damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk die ihm verfassungsrechtlich zugewiesene Funktion wieder erfolgreicher erfüllen kann.